John Scalzi, ein grandioser SciFi-Autor und wenn ihr seine Bücher noch nicht kennt WARUM NICHT??, betreibt seit bestimmt zwanzig Jahren seinen sehr erfolgreichen Blog “whatever”. Neben Schreibtipps, sarkastischen Abrechnungen mit der amerikanischen Rechten und Foto der Katzenarmee gibt er Autoren die Möglichkeit, über ihr neuestes Buch zu sprechen. Die Serie heißt “the big idea”, also die große Idee, die Inspirationen, die dahinter stehen. Ich liebe diese Serie und deswegen gibt es jetzt meine erste Ausgabe von “Big idea” – für die Supermamas!
Hintergrund – Schwangerschaft
Ich wollte nie ein Buch über Mütter schreiben, eine Menschengruppe, die mir fremd vorkam wie eine andere Spezies. Das Thema kam mir zu stressig vor, ein soziales Minenfeld. Ich sah mit offen stehendem Mund, wie Mütter sich in Internetforen bekriegten, jede Entscheidung der anderen in Frage stellten. Nein, damit wollte ich nichts zu tun haben.
Und ich musste das ja auch nicht. Ich war Fantasyautorin, schrieb über Trolle und Gestaltwandler, das war so weit weg von Müttern. Dachte ich jedenfalls, bis ich schwanger wurde.
Seit meiner Pupertät hat sich mein Körper nicht mehr so schnell verändert. Quasi über Nacht schien ich mich zu verwandeln, von einem Tag auf den anderen mochte ich keinen Kaffee mehr (ich! Kein Kaffee!!!) Es fühlte sich unwirklich an. Wie Fantasy.
Viele Leute, vor allem die, die kein Fantasy lesen, tun das Genre ab als Eskapismus, als unrealistische Spinnerei. Mal davon abgesehen, dass es nichts Schlimmes an Eskapismus gibt (wie Neil Gaiman mal gesagt hat: die einzigen, die etwas gegen eine Flucht haben, sind die Gefängniswärter), stimmt es einfach nicht. Fantasy zeigt ein „was wäre wenn“, letztlich sind alle Fantasyrassen Metaphern für Menschen. Aber ich fand wenig Fantasy mit und für Schwangere, wo ich meine eigene Situation wiedererkennen konnte. Und als Autorin musste ich sowas schreiben.
Hintergrund – Comics
„Comics haben jetzt aber nichts mit Müttern zu tun, Tina!“
Wirklich nicht? Alles ist neu, du hast Kräfte, die du niemals für möglich gehalten hättest. In dir wächst neues Leben. Ist das nicht der Archetyp aller Superkräfte?
Ich las viele Comics während meiner Schwangerschaft, unter anderem die X-men, und ich liebte den Gedanken der Gemeinschaft unter den Mutanten. Gleichzeitig fiel mir eine Lücke auf: es gab Mütter unter den Superhelden, Mystique. Jessica Jones. Aber keine bekam ihre Superkräfte durch die Geburt. Die Parallelen waren augenfällig für mich: Mutanten und Mütter verändern sich körperlich, ihr Leben verändert sich total, sie erhalten neue Fähigkeiten. Das war die Kernidee der Supermamas. Wesen mit besonderen Fähigkeiten, die zusammenhalten, die eine Gruppe sind.
Und dabei wäre es geblieben: eine lustige Idee, die mein Schreiben beeinflusst, und die ansonsten im Hintergrund bleibt. Wäre meine Schwangerschaft normal verlaufen, hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Nicht schreiben brauchen.
Hintergrund – Johanna
Rezensionen zu den Supermamas sagen, es wäre „leicht“, „locker für zwischendurch“. Das war in zweierlei Hinsicht Absicht. Zum einen: welche Mutter hat schon Zeit für einen Wälzer? Und zum anderen … die Mamas SIND leicht. Aber ihr Hintergrund, der Kern, die Triebkraft, warum ich das Buch schreiben musste, und genau SO schreiben musste, war sehr finster.
Vorsicht, wenn du schwanger bist, willst du vielleicht nicht weiterlesen. Oder vielleicht doch?
Ich war schwanger, und es war toll! Ich liebte es, mit dem kleinen Tret in meinem Bauch zu reden, ich war happy. Wir kauften die Einrichtung, ich bereitete mich seelisch auf das letzte Trimester vor, in dem man „prüfen müsste, ob einen schon kleine Monde umkreisen“ … dieses Zitat aus den Supermamas ist nicht autobiografisch. Denn ich hatte kein letztes Trimester. Meine – unkomplizierte und traumhafte Schwangerschaft endete aprupt mit einer akuten Schwangerschaftsvergiftung mit Hellp-Syndrom. Notkaiserschnitt in der 29. Woche. Frühchen! Wenige Stunden später lag ich in einem Bett, ein Loch im Bauch, und philosophierte darüber, dass sich Ärzte und Geier in ihrem Verhalten ähnelten.
Ich habe schon immer das Lächerliche in Situationen gesehen, und in diesem Fall war ich zusätzlich vollgepumpt bis unter den Rand mit Morphium, und die Alternative wäre gewesen, darüber nachzudenken, dass mein Kind eine 25{32ae35a42e1445b30bd5ead70cdbdbe7ddca37cb23f1b0effc42dc14860aeabb} Chance auf Hirnblutungen hat.
Und darüber nachdenken durfte ich nicht. Mein Blutdruck war immer noch zu hoch. Ich musste alles tun, um den runterzubekommen. Mein Kind brauchte mich.
Ich bin ein Stresstierchen. Ich grübele, über alles und jeden. Aber in dieser Situation durfte ich das nicht – und also tat ich das nicht. Und das sind die Superkräfte: du kommst an deine Grenzen, und du gehst drüber, du musst drüber, dein Kind braucht dich. Wochenlang stapfte ich jeden Tag ins Krankenhaus, müde, so müde. Immer noch musste ich schwere Medikamente nehmen, und einige Male hatte ich das Gefühl… zu fliegen.
Nachtrag: Johanna ist komplett gesund, mittlerweile 4 Jahre alt und verbindet unbändige Neugierde mit den sozialen Fähigkeiten des Dalai Lama und der Durchsetzungskraft von Dschingis Khan. Eigentlich ist sie der Superheld von uns Beiden. Die Lungen, die im Krankenhaus so mühevoll entfaltet wurden, funktionieren perfekt, und sagen wir es so: sie nervt manchmal tierisch, aber ich bin dankbar, denn ich kenne die Alternative.
Hintergrund – Supermamas
Bereits im Krankenhaus, und dann, als wir nach Hause kamen, wurden wir überschüttet mit Hilfe. Freunde brachten uns Essen, wenn wir den Mikrowellenfraß nicht mehr sehen konnten, sie besuchten uns, halfen uns, brachten uns Sachen mit. Das Personal im Krankenhaus war immer an unserer Seite, brachten uns mit Engelsgeduld das Stillen bei. Als wir dann heimkamen, traf ich andere Mütter und die Babysinggruppe, die das Vorbild für die Supermamas lieferten.
Die Chirurgen haben mir das Leben gerettet. Hundert Leute mehr haben unser Leben wieder aufgebaut.
Aber je mehr ich mich im Netz umsah, desto mehr sah ich, dass das nicht selbstverständlich ist. So viele, speziell Mütter, fühlten sich alleine gelassen, nicht ernst genommen, sowohl von Ärzten als auch von Freunden. Verwandte machen einem das Leben schwerer, statt zu helfen, und niemand fragt einfach mal: „was brauchst du jetzt am meisten? Was würde dir jetzt in diesem Moment helfen?“
Deswegen habe ich die Supermamas geschrieben. Ja, sie retten die Welt, aber in ihrem Kern sind sie füreinander da, helfen sich gegenseitig, geben einander das, was grad gebraucht wird. Und ich finde, so was braucht jede Mutter.
Hintergrund – der beste Mann der Welt
Ihr habt euch gefragt, wieso ich meinen Partner nicht bei der Hilfe erwähnt habe? Weil er so viel mehr war.
Die meisten Supermamas sind Frauen, die Origin-Story im Buch (Vorsicht: Mini-Spoiler) ist Hormone plus traumatische Situation. Und viele Männer können Rückzieher machen, können sich auf ihre Arbeit verschanzen. Er tat das nicht.
Wenn ich das Krankenhaus verließ, kam er. Nach der Arbeit, bis in die Nacht. Das Elternzimmer bezogen wir gemeinsam, er wechselte Windeln und fütterte unser Kind durch die Magensonde. Er jagte mich hinaus, als ich Krankenhauskoller bekam.
Er ist mit mir durch diese Zeit, durch die Hölle und zurück, und dann, dann können auch Männer zur Supermama werden.
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