Mainhattanfiles: Die Küchenschlacht (2/8)

„Was meinst du mit ‘in einer Viertelstunde'”, echote ich verdattert.
„Du hast mich gefragt, wann ich dir deinen ersten Klienten bringe. Die Antwort ist: In einer Viertelstunde. Genauer gesagt …”, sie konsultierte ihre Uhr, „in zwölf Minuten. Du solltest die Zeit nutzen, den Wandschrank herzurichten.”
„Wieso den Wandschrank?”
„Weil unser Klient dunkle Räume bevorzugt, weil dieses Zimmer ein Saustall ist, in das du keinen Klienten führen kannst und weil ich Platz und Ruhe brauche, um dein Chaos wieder in Ordnung zu bringen. Also, husch husch in den Schrank!”
“Ja, Tante Hattie”, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Es gab einen Unterschied zwischen Verwegenheit und Todessehnsucht.
„Ich würde den Klienten lieber hier treffen. Das hier ist mein Büro, und es sollte doch kein Problem sein, die Papiere unter einer Illusion verschwinden zu lassen”, sagte ich fest, mich für den unweigerlichen Streit wappnend. Ich würde mich doch von meiner Sekretärin nicht in den Schrank schicken lassen.”
„Natürlich kannst du das”, stimmte sie zu meiner Überraschung zu. „Soll ich dann so lange das Büro verlassen?”
„Ich, ähm…” Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mir kampflos das Feld überlassen würde. „Warum setzt du dich nicht ins Café gegenüber, gönnst dir einen Kaffee und wartest auf die Post? In einer Stunde oder so sind wir hier fertig, und du kannst weiter aufräumen.”
Hattie sprang auf und griff nach ihrer Handtasche. „Das ist eine großartige Idee. Man merkt, dass du hier der Chef bist.”
„Ich..äh…danke!” Eine lobende Hattie, das war so nervenaufreibend wie ein grinsendes Krokodil.
„Bis später dann!” Sie ging zur Tür. „Ach, eine Sache noch!”, Sie drehte sich um. „Wenn du das Dokument findest, das heute noch zur Hausverwaltung muss, leg es mir doch bitte auf den Schreibtisch.”
„Äh…”
„Du weißt schon, das, wo groß im Betreff steht: ‘Letzte Aufforderung vor der Zwangsräumung’.”
„Ich…”
„Wenn ich mich recht erinnere, war die Frist heute, elf Uhr. Aber die werden schon nicht so kleinlich sein.”
“Äh, denkst du, du kannst dich darum kümmern?”, fragte ich schwach.
Sie riss die Augen auf. „Leider muss ich ja dringend auf die Post warten.”
Ich gab auf. Papiere und ich waren keine gute Kombination.
„Vielleicht solltest du das Papier beantworten. Ich gehe dann mal das Nebenzimmer für den Klienten herrichten.”
Hattie kam zurück und grinste. Oder war das ein Zähnefletschen?
„Sehr gute Idee, Junge. Sehr gut! Lass mich nur machen, und Tom …”
“Ja?”
“Du solltest mich allerverehrteste Magistra nennen.”
Ich warf ihr ein Lächeln zu, das dem ihren glich.
„Weißt du, ich habe das nachgeschlagen. ‘Allerverehrteste Magistra’ ist der Titel für den Vorsitzenden des Magierrats. Also wenn du nicht in meiner Abwesenheit befördert wurdest….
Hattie lachte. „Gut bemerkt, mein Lieber, also gut, ich… Oh, Sie sind schon da.” sagte sie in den Flur hinein. Gleich darauf trat ein Mann durch die Tür. Sein blondes Haar war raspelkurz geschnitten und stand von seinem Kopf ab, was ihn wie einen Albinoigel aussehen ließ. Der Eindruck wurde verstärkt durch seine roten Augen, die ich zwar hinter der verspiegelten Sonnenbrille nicht sehen konnte, aber von denen ich trotzdem wusste, dass sie da waren. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift ‘Mayday’ und eine schwarze Hose, die mit silbernen Schnallen verziert war.
“Oh bitte, verzeihen Sie mein unrühmlich frühes Auftreten, ihre Magnifizienz. Ich war nicht sicher, dass ich das Büro gleich finden würde”, sagte er.
“Bitte, kommen Sie doch herein”, sagte Hattie. Er machte einen Schritt nach vorne und verharrte.
“Ja, bitte, willkommen!”, sagte ich schnell, bevor die Situation peinlich werden konnte. Hattie kam also durch meine Schutzzeichen an der Tür selbst hindurch, konnte aber niemand anderen hindurchbringen. Gut zu wissen!
Der Mann durchschritt die Tür und streckte mir seine Hand entgegen.
„Dorian Grau, zu Ihren Diensten!”
Ich griff zu und schüttelte ihm die Hand. Dorian Grau? Nur zwei Arten von Menschen trugen so einen Namen.
„Sind Sie DJ oder Vampir?”, fragte ich.
„Ursprünglich beides, bevor die Römer die Technobewegung erstickten. Heute bin ich Chefkoch.”
Römer? Bewegung?
„Bitte, setzen Sie sich und erzählen Sie mir, was Sie zu mir bringt”, sagte ich in geschäftsmäßigen Ton. Ich sah mich hilflos um. “Leider ist uns ein Malheur mit den Papieren passiert, das Wetter, verstehen Sie? Vielleicht dürfte ich Sie zum Frühstück einladen? Das Café an der Ecke…”
„Nein, auf keinen Fall”, unterbrach er mich. “Da würden Sie uns beobachten. Sie sind hinter mir her.”
„Ich verstehe.” Das tat ich nicht. Vielleicht war mein Klient verrückt und litt unter Verfolgungswahn, aber nur weil man paranoid ist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter einem her sind. Vor allem nicht in der Magierwelt.
„Dann darf ich Sie in mein privates Büro bitten? Bitte geben sie mir eine Minute, um aufzuräumen.”

Eine Viertelstunde später saßen wir im Wandschrank. Die Zeit hatte gerade ausgereicht, um die unsäglichen Ponys und die Regale verschwinden zu lassen. Der einfache Stuhl sah aus wie ein bequemer Sessel, in dem der Vampir sich niederließ, während ich mich hinter die Illusion eines schweren Eichenschreibtischs setzte. Ich musste nur daran denken, nichts auf den Tisch abzulegen.
Ansonsten war der Raum kahl. Es hatte weder für ein Fenster gereicht, noch für einen Teppich oder Zimmerpflanzen. Wenn ich nur etwas mehr Zeit gehabt hätte.
Mein Klient entspannte sich, sobald er durch die Tür trat. Für Vampire waren dunkle, beengte Räume wohl so etwas wie ein Zuhause.
„Also, was kann ich für Sie tun?”, fragte ich.
„Meine Messer wurden gestohlen.”
„Ihre Messer?”
„Gestern waren sie noch da. Und heute – einfach weg!”
„Handelte es sich um Sammlerstücke?”, fragte ich verwirrt. Warum sollte jemand Messer stehlen wollen? Und warum regte sich der Mann vor mir so darüber auf?
„Es waren meine Küchenmesser”, erklärte Herr Grau. „Ich sagte Ihnen doch, dass ich Chefkoch bin.”
Nun wurde mir die Sache etwas klarer. Etwas.
„Ich verstehe. Waren die Messer in irgendeiner Art magisch?”, fragte ich.
Grau runzelte die Stirn. „Sie scheinen mich nicht ganz ernst zu nehmen.”
„Herr Grau, ich versichere Ihnen, ich nehme Sie sehr ernst. Aber – Messer? Es scheint sich doch eher um ein Versehen zu handeln als ein Verbrechen.”
Mein Klient stand auf. „Ich glaube, ich bin falsch hier”, sagte er und wandte sich zum Gehen.
„Herr Grau. Geben Sie mir doch erst einmal etwas mehr Informationen. Was hat es mit den Messern auf sich?”, fragte ich. Nun war meine Neugierde geweckt. „Was für Messer sind es? Haben Sie etwas Besonderes an sich?”
„Es handelt sich um meine Küchenmesser. Sie sind mein Arbeitswerkzeug, verstehen Sie?”
Nun verstand ich. Magische Wesen neigten dazu, sehr innige Beziehungen zu ihren Gegenständen aufzubauen. Und für die kontrollwütigen Vampire traf dies doppelt zu. Ein Koch, der seine Küchenmesser liebte, das ergab Sinn!
„Diese Messer haben also für Sie einen großen Wert. Wie sieht es mit dem objektiven Wert aus? Könnte jemand Sie verkaufen?”
Der Vampir sah mich verwirrt an. „Warum sollte jemand das wollen?”
„Nun, das wäre ein Grund, die Messer zu stehlen!”
„Ach so, nun verstehe ich. Bemühen Sie sich nicht! Ich weiß, wer die Messer genommen hat.”
„Tatsächlich? Nun das macht es einfacher.”
„Das waren die Römer.”
„Die Römer?”, wiederholte ich.
„Sie wollen uns Vampiren um jeden Preis das Leben schwer machen.”
„Warum sollten die so etwas tun?”
„Weil sie unser Volk hassen. Wissen Sie denn überhaupt nichts?”
„Ich weiß, dass es Spannungen zwischen Ihren Völkern gibt. Aber Sie müssen verzeihen, ich bin bisher erst einmal einem Vampir begegnet. Mir fehlen die näheren Zusammenhänge. Bitte klären Sie mich doch auf.
Der Vampir warf sich in Positur. Kein Vampir konnte einer guten Geschichte widerstehen. Von ferne erklang ein Wolfsheulen. Vampire erzählten nicht nur mit ihrem Mund, sondern auch mit ihrer Magie.
„Wie Sie sicher wissen, waren wir Vampire einst die Herren dieser Länder, streng und gerecht, freundlich und gnädig”, begann mein Gast. Ich brummte unverbindlich. Die Gnade der Vampire bestand oft darin, dass sie die Menschen beim Blutsaugen nicht sofort umbrachten.
„Doch die Emporkömmlinge aus dem Süden gierten nach unseren Landen. Einmal hatten wir sie vertrieben. Doch nie gaben sie auf.” Bedrohlicher Donner grollte aufs Stichwort. Ich hoffte, die Geschichte wäre nicht mehr allzu lang, sonst würden gleich Fledermäuse durch meinen Wandschrank flattern.
„Mit den Emporkömmlingen aus dem Süden meinen Sie die Römer?”, fragte ich nach. Er schnaubte.
„Selbstredend. Von wem sprechen wir denn hier sonst? Die Römer, dieses Volk, das nur Macht und Krieg kennt. Jahrhundertelang haben wir sie im Zaum gehalten.”
Im Zaum gehalten war wohl stark untertrieben. Die Vampire hatten die Römer gejagt, wo immer sie sie fanden, ausgerottet. Sie entkamen nur der völligen Auslöschung, weil sie äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden waren, und sich so zwischen der Bevölkerung verbergen konnten. Trotzdem hatten die Römer jahrhundertelang in Mitteleuropa keine Chancen gehabt.
„Doch dann kam die große Seuche”, ergänzte mein Gast meine Gedanken. Ein eisiger Hauch des Todes wehte durch den Raum.
„Die Pest?”, fragte ich.
“Unsinn! Die Pest konnte uns nichts anhaben. Die Seuche kam über das Blut, und Blut ist unsere Schwäche. Die Menschen nennen die Krankheit Aids, wir kennen sie nur als die große Seuche. Sie befiel so viele von uns. Wir starben in Scharen. Abends flogen wir noch aus, und am Morgen legten wir uns bereits zum Sterben nieder.”
„Aber hat man Aids nicht viel länger, bis es tötet?«, fragte ich verwirrt.
„Die Menschen vielleicht. Sie bekommen einen Erreger, der dann in ihr Blut eindringt. Doch wir Vampire haben nur das Blut unserer Opfer. Die Krankheit befiel unsere Körper innerhalb von Minuten.”
„Ich verstehe. Aber was hat das mit den Römern zu tun?”
„Die Römer ergriffen ihre Chance. Sie jagten uns, rotteten uns aus, wo sie nur konnten. Heute gibt es vielleicht noch vierzig Vampire in ganz Frankfurt. Unser stolzes Volk wurde in die Knie gezwungen. Aber das reicht den Barbaren aus dem Süden nicht. Sie werden nicht ruhen noch rasten, bis auch der Letzte von uns verschwunden ist.”

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