Mainhattanfiles: Blind Date (2/3)

„Hallo“, brachte ich heraus. Sie sah mich erwartungsvoll an. Sollte ich noch etwas sagen?
„Paul, das ist Natalie“, schaltete sich Miranda ein und brach das peinliche Schweigen. „Sie ist eine Freundin von mir und wollte dich unbedingt kennenlernen.“
„Mich? Warum das?“, platze ich heraus, bevor ich mich zurückhalten konnte.
„Warum nicht?“, fragte Miranda einfach zurück. „Das frag ich mich auch“, fing ich Mirandas Gedanken auf. Wieso konnte ich ihre Gedanken spüren? Aber Miranda verbrachte so viel Zeit im Cafe, arbeitete hier, lernte hier, traf ihre Freunde hier, dass das Cafe für sie mehr ein Zuhause war als das Achtquadratmeterloch im Wohnheim. Bei ihren Eltern fühlte sie sich auch nicht wohl. Es schien also so zu sein, dass eine Person ein neues Domizil leichter akzeptierte, wenn ihr keine Alter…
„Paul!“ Mirandas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich kannte den Tonfall und auch den Ausdruck, mit dem sie mich ansah: halb genervt, halb ungläubig. So sah sie mich auch immer an, wenn ich beim Rollenspiel mitten in einem Kampf in Tagträume abglitt.
„Was denn?“, fragte ich gereizt und Natalie zuckte zusammen. Verdammt, da war jemand, eine gutaussehende Frau, die sich freiwillig mit mir unterhalten wollte, und ich vermasselte es schon wieder.

„Ich fragte, ob ich mich setzen darf?“, fragte sie.
„Äh, natürlich“, stammelte ich, und am liebsten wäre ich weggerannt. Aber da hatte Natalie sich schon auf den Stuhl zwischen mir und dem Ausgang gesetzt. Ihre Haare streiften meine Hand und ein Schauer lief durch meinen gesamten Körper. Mann, ich konnte es doch wohl nicht so nötig haben!

„Oh, da hat jemand seine Zeitschrift vergessen!“, rief Natalie und wies auf den Tisch.
„Und natürlich wieder Cosmo auf dem Cover. Ich frag mich, ob es dieses Jahr überhaupt noch einen anderen Celeb gibt“, sagte Natalie zu Miranda gewandt, und zeigte auf das Cover, auf dem eine blonde Frau abgebildet war. Die Coverfrau stand in Pose, hatte den Kopf in den Nacken geworfen und blickte direkt in die Kamera. Sie schien mir förmlich zuzuzwinkern.
Ich hörte Miranda neben mir schnaufen. „Keine Ahnung! Du weißt, ich hab es nicht so mit den Stars“, sagte sie.
„Stimmt, du magst deine Mathematik lieber. Aber entschuldige Paul, wir schnattern hier. Du weißt wahrscheinlich gar nicht, um wen es geht. Cosmo ist die neue Moderatorin vom Wüstencamp und ist in jeder Show dabei. Du hast sie bestimmt schon mal auf einem Bild am Kiosk gesehen.“
Ich brummte zustimmend, und Miranda kicherte. Ich erstarrte, die unvermeidliche Demütigung erwartend. Seit Monaten sammelte ich jeden Schnipsel, den ich von Cosmo erhaschen konnte. Sie war einfach eine Göttin, wunderschön, unnahbar und mir in jeder Beziehung überlegen. Miranda wusste von meiner Schwärmerei. Sie hatte meine Cosmo-Sammlung gefunden. Gleich würde sie etwas sagen…

Aber Miranda sagte nichts. Gutes Mädchen! Meine Schwestern hätten es sich in einer ähnlichen Situation nie nehmen lassen, mich bloßzustellen. Ich hätte meine Zeitschrift nicht auf dem Tisch liegenlassen sollen. Aber wie hätte ich denn wissen sollen, dass mir eine echte Frau begegnet?
„Ich muss mal weiter arbeiten. Die Zeitung nehme ich gerne mit. Viel Spaß euch beiden!“, sagte Miranda. Oh nein, was sollte ich denn jetzt nur sagen? Ich blickte Miranda hinterher.
„Junge, da schmachtet aber Einer!“, seufzte Natalie neben mir.
„Was meinst du?“
„Na, so wie du ihr hinterher guckst.“
„Miranada? Nein, wir sind nur Freunde“, sagte ich. Und das würde auch so bleiben, hatte Miranda mir von Anfang an klargemacht.
„Aber du willst mehr?“
„Nein, Miranda ist nur eine Freundin“, sagte ich fest.
„Ja, das kenne ich. Ich hab auch einige Männer, die in der Freundezone sind. Und wenn ich die erst mal da drin sind, dann ist das fix“, sagte Natalie.
„Aber woher weißt du das, dass das fix und für immer ist?”, fragte ich.
„Ich weiß es halt. Es ist immer so.“
„Vielleicht weil du den Männern nie eine Chance gegeben hast.“ Ich hörte die Weinerlichkeit in meiner Stimme, und stellte plötzlich fest, dass ich mir einer attraktiven Frau am Tisch saß, die mich nicht in die Freundeszone geschickt hatte. Noch nicht!
„Studierst du auch hier an der Uni?“, lenkte ich das Gespräch schnell in sichere Fahrwasser. Natalie sah mich verletzt an. In welches Fettnäpfchen hatte ich mich da wieder reinbugsiert?
„Wir studieren zusammen“, sagte sie schließlich.
„Das kann nicht sein“, platzte ich heraus. „Du wärst mir doch aufgefallen“, fügte ich hinzu, bevor sie mir etwas an den Kopf warf. Ihre Miene glättete sich.
„Jetzt schmeichelst du mir aber.“
„Überhaupt nicht“, protestierte ich. Die Frauen im Mathestudium konnte man an einer Hand abzählen, von Attraktiven mal ganz abgesehen. Nach zwei Monaten Semester sollte ich sie doch alle kennen, wieso also…
„Wir sind in Grundlagen der Algebra und Elementare Stochastik zusammen“, fügte sie hinzu. Mir schwante Schlimmes.
„Du bist Lehrämtlerin?“, fragte ich. Sie lachte nervös.
„Hast du auch Vorurteile gegen die Schmalspurmathematiker?“
„Aber nein“, log ich.
„Aber es ist kein Wunder, dass du mich nicht siehst, so tief, wie du die Nase immer in den Büchern hast.“
„Ich muss einiges nachholen. Bei uns an der… Schule wurde einiges anders gemacht“, suchte ich nach einer Ausrede.
„Wirklich? Was denn?“
„Ich bin es nicht gewohnt, in so einer großen Gruppe zu sein. Zuhause hatte ich einen Privatlehrer.“
„Oho, Privatlehrer? Deine Eltern haben wohl Geld?“
„Nun, ja.“
„Und vielleicht noch einen Sklaven, der dein Zimmer sauber macht?“
„Äh, ja. Meins und das von meinem Bruder.“ Ich war irritiert, bis ich verstand, dass sie das mit dem ‘Sklaven’ wohl als Scherz gemeint hatte.
„Dein Bruder? Tom, nicht wahr? Ihr wohnt zusammen, hab ich gehört?“
„Woher kennst du Tom?“, fragte ich alarmiert. Sie lachte.
„Das hört sich ja an, als würdest du ihn einsperren und am liebsten nie rauslassen.“
„So ungefähr“, gab ich zu. Das traf mein Verhältnis zu Thomas sehr gut.
„Ich hab ihn mal in der Stadt gesehen. Trägt er eigentlich immer schwarz?“
„Fast immer!“
„Es steht ihm.“
„Er weiß einfach nicht, was er morgens anziehen soll.“
„Kaum zu glauben, dass ihr Brüder seid. Ihr seht euch so gar nicht ähnlich“, sagte Natalie mit einem Seitenblick.
„Tja, so ist das manchmal“, wich ich aus. „Der eine kommt nach der Seite des Vaters, der andere nach der Mutter und…“, erklärte ich hastig, dann merkte ich, dass Natalie mir gar nicht mehr zuhörte. Entsetzt blickte sie an die Wand hinter mir. Langsam drehte ich mich herum. Und blickte in acht Augen. Mein Herz schlug plötzlich bis zum Hals.

Letzte Folge

Nächste Folge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert