“Und, was habt ihr letzte Woche so gemacht?”

Hough- ich bin da!

Während der letzten zehn Tage waren wir beinahe vollständig von der Bildfläche verschwunden. Kein Facebook, kein Telefon, kein Blog. Wir waren beschäftigt mit Lernen. Und was wir nicht alles gelernt haben.! Daß die schwedische Neonatalmedizin zu den besten der Welt gehört; wie sich Wile E. Coyote fühlt; Vergleiche des sozialen Lebens zwischen Geiern und Ärzten, was eine Pre-eklapsie ist. Wie ist ist, Mutter zu werden…. Aber lasst uns doch am Anfang beginnen:

 

24.03.2013: Immer noch herrscht bitterer Winter in Schweden. Es ist wundervoll hell und sonnig, aber lausig kalt. Trotzdem sind wir draußen unterwegs. Letzte Woche wurden die Bäume um unsere Wohnung beschnitten, und wir wollen Osterzweige für die Wohnung sammeln. Unser Kind ist dabei und tritt und bewegt sich in meinem Bauch. Wir nennen sie nur das kleine Tret. Bisher war die Schwangerschaft ein reines Vergnügen, ohne viel Übelkeit oder so. Aber seit einer Wochen werde ich jede Nacht von starken Kreuzschmerzen geplagt. Hoffentlich wird diese Nacht besser.!

25.03.2013 1:30
Diese Nacht ist schlimmer. Ich flüchte mich auf die Couch, versuche zu lesen, schaue alte Warner Brothers Trickfilme. Wile E Coyote schießt eine Rakete auf Roadrunner, und natürlich schießt er sie sich durch den Bauch. Ich überlege ob es schmerzhafter wäre, ein Loch im Bauch zu haben. Ich gehe baden. Unsere armen Nachbarn, aber ich kann nicht mehr. Die Wärme ist das einzige was die Schmerzen zumindest ein wenig lindert. Das Baby wacht auf. Sie liebt es, Wasser plätschern zu hören. Ich rechne, wie so oft dieser Tage. Noch 80 Tage Schwangerschaft übrig- wie soll ich diese Schmerzen noch so lange durchhalten?
25.03.2013 6:00
Wir rufen im Krankenhaus an. Die fragen, ob ich Fieber hab, hohen Blutdruck, Kopfweh oder Flimmern vor den Augen. Das fragen sie mich dauernd. Scheinbar haben sie furchtbare Angst vor einer seltenen aber bösartigen Krankheit namens Preeklapsie. Ich antworte wie immer, ich habe keines der Symptome, nur Kreuzschmerzen. Ich erwähne auch, daß ich mich mehrere Male übergeben hab. Das stimmt nicht, es war nur einmal. Aber besser etwas übertreiben, ich will Schmerzmittel, damit ich endlich mal schlafen kann!
25.03.2013 6:30
Ich steige aus dem Taxi ohne jemand zu beachten und Martin muss sich um die Rechnung kümmern. So wie er sich um alles in den nächsten Tagen wird kümmern müssen. Aber das wissen wir noch nicht. Eine Hebamme erwartet uns, fragt mich, ob ich Fieber hab, hohen Blutdruck, Kopfweh oder Flimmern vor den Augen.*seufz* „Nein, nur Kreuzschmerzen! Und ich habe mich übergeben, mehrere Male.“ Und dann wird meine Notlüge wahr, und ich fange an zu kotzen, minutenlang, ohne was im Magen, ohne aufhören zu können. Zwischendurch wimmere ich: gebt mir endlich Drogen! Bitte!!
25.03.2013 7:00
Eine Ärztin betritt das Zimmer, sagt, dem Baby geht’s prima, aber mir nicht. Ich hebe den Kopf zwischen zwei Brechanfällen und sage „ach, wirklich?“ gut daß Schweden gegen Ironie weitestgehend immun sind. Sie spricht von mehr Bluttests. Und sie hat Schmerzmittel mitgebracht. Ich möchte sie küssen! Nimm mein Blut! Noch eine Kanüle? Gerne, lass das Voltaren da!
25.03.2013 9:30
Die Ärztin ist zurück. Und sie hat zwei Kollegen mitgebracht. Das gefällt mir nicht. Krankenhausärzte sind wie Geier. Sobald du ihr Habitat (Krankenhaus/Wüste) betrittst, beginnt einer, um dich zu kreisen. Einer macht nichts, einer ist normal. Mehr als einer ist nicht gut! Ärzte und Geier sammeln sich nur, wenn sie denken, du könntest ein potentielles Opfer sein.
Sie beginnen, Fragen zu stellen. Ob ich Fieber hab, hohen Blutdruck, Kopfweh oder Flimmern vor den Augen. Nein! Nur! Kreuzschmerzen! Sie wollen weitere Bluttests durchführen. Und wollen eine Ärztin aus der Kinderklinik rufen, für den Fall, daß sie das Kind heute noch entbinden. Entbinden? Habt ihr eure eigenen Drogen genommen?
25.03.2013 10:00
Die Ärztin aus der Kinderklinik ist tatsächlich gekommen. Ok, jetzt hört der Spaß auf. „Leute, hört zu. Ich habe kein Fieber, hohen Blutdruck, Kopfweh oder Flimmern vor den Augen. Ihr scheint besessen von dieser Preeklapsie zu sein, aber ich hab die nicht.“
Tja, es stellt sich heraus, daß doch. Die inneren Werte sind die wichtigen, und meine Leberwerte sind eindeutig. Preeklapsie ist eine Krankheit verursacht durch die Schwangerschaft selbst. Der Körper beginnt, sich selbst zu vergiften, so lange, bis die Schwangerschaft beendet wird. Die Symptome sind…. Fieber, hoher Blutdruck, Kopfweh und Flimmern vor den Augen. Es ist sehr selten, daß man die Krankheit hat, ohne irgendeines der Symptome zu zeigen.
Die Kinderärztin fängt an zu reden. Daß meine Kind in der 29 Woche kein Problem für die Kinderklinik wäre, daß sie ihr Team von Spezialisten bereit stehen hätte, um sie sofort nach dem Keiserschnitt entgegen zu nehmen. Momentmomentmoooment. Da hab ich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Es geht hier schließlich um mich. Und um mein Kind. Ich habe über Preeklapsie gelesen. Die Krankheit entwickelt sich langsam, über Wochen, letzte Woche war ich noch darauf getestet worden, also ich möchte mir unwürdige Eile verbitten. Die Ärzte werfen sich einen vielsagenden Blick zu, „wir haben den Mist sechs Jahre lang studiert, aber jeder Depp denkt, nach fünf Minuten Wikipedia wüßte er besser Bescheid als wir.“ sagen sie nicht. Stattdessen erklären sie sehr geduldig, daß es in der Tat ungewöhnlich wäre, wie schnell sich die Krankheit bei mir entwickelt hätte. Daß sie zwischen den ersten und zweiten Tests eine definitive Verschlechterung der Werte gesehen hätten. Daß sie eine dritte Testreihe abwarten würden. Und natürlich würden sie warten, so lange es geht. Martin sagt gar nichts. Er hat seine eigene Rechnung, die keine Geier enthält, dafür Faktoren wie meinen Blutdruck, der mittlerweile wirklich fliegt; die Tatsache daß sie das Kind holen wollen; daß sie innerhalb von Minuten einen freien OP für mich hatten; ich zetere weil ich nicht verstehe, was los ist, er ist still- weil er es verstanden hat.
25.03.2013 14:00
Ärzte eilen in den Raum und beginnen gleichzeitig zu reden. Ich versuche mich zu beruhigen, zähle Geier. Aber es sind einfach so viele. Dank der Schmerzmittel gehe ich auf Wolken. Erst eine Woche später, beim Lesen meines Krankenbericht verstehe ich endgültig was die mir sagen wollten. „Ich mag deine Blutplättchen nicht.“ sagt eine nörgelnde Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Es ist ER, der Bartgeier unter den Krankenhausärzten, der Anästhesiearzt, der immer erst kommt, wenn klar ist, daß es ein Opfer für die Geier gibt. Mein Schicksal ist besiegelt, mein Kind wird heute noch geboren werden!
Johanna Renate Neumann kam um 15:14 zur Welt, mit dem gleichen schwarzen Haar wie ihre Mutter 35 Jahre vor ihr, und mit einer Miene gerechten Zorns, auf den Doktor, der sie aus ihrem gemütlichen Nest gerissen hatte, und auf ihre Mutter, die ihr Versprechen, sie 260 Tage zu tragen und zu schützen gebrochen hatte. Johanna wurde erwartet von einem Team von sechs Experten, bereit, alles zu tun, um ihr Leben zu retten, und so, einige Minuten später, im Bestreben, ihren Unmut kundzutun, begann sie zu schreien- und damit zu atmen. Ich selbst bekam davon nichts mit, ich lag immer noch offen auf dem Op-Tisch. Nachdem sie sie stabilisiert hatten, zeigten sie sie mir für einige Sekunden, eine modernes Schneewittchen in ihrem transparenten Kasten, aber zwischen all den Schläuchen und Decken konnte ich sie nicht sehen. Dann entschwand sie, gemeinsam mit den Spezialisten, und ihrem Vater, der sich sichtlich am liebsten entzwei gerissen hätte, um gleichzeitig bei mir und bei Johanna sein zu können. Und ich blieb zurück, allein, mit den Chirurgen und dem Bartgeierarzt. Ich versuchte mich abzulenken, aber alles was mir einfiel war, daß ich ein Loch im Bauch hatte- genau wie Wile E Coyote.
The Family (i´m not crying)

An den Rest der Woche haben wir verschwommene Erinnerungen. Sobald die Schwangerschaft, die mich vergiftet hatte, beendet war, begannen meine Blutwerte zu sinken. Es dauerte einig Tage, bis auch der Blutdruck wieder sank, aber nach einigen Tagen fanden die Ärzte die richtigen Medikamente. Martin rannte zwischen Krankenhaus und zuhause hin und her, hielt die Verbindung zu den Verwandten und kümmerte sich um alle Kleinigkeiten, von Botengängen, bis zum Zubereiten meines Frühstücks. Und am zweiten Tag, als das Ok der Ärzte kam, fuhr er mich in einem Rollstuhl in den zweiten Stock, zu unserer Tochter.

Ich wurde am Ostermontag entlassen. Als ich auf Martin gestützt das Krankenhaus verließ, schien die Sonne, es war warm. In der einen Woche die ich im Krankenhaus verbracht hatte, war der Frühling nach Schweden gekommen. Zuhause stand der Osterstrauch voller Blätter. Sogar einige weiße Blüten prankten auf einem der Äste. Ich holte Luft um dem Kind in meinem Bauch davon zu erzählen, wie ich ihr alles erzählt hatte, was im letzten halben Jahr um uns herum passiert war. Aber da war kein Kind, nur ein Loch, und eine Wunde, die langsam verheilte.
Ich weinte, aber nicht zu viel. Unsere Tochter ist am Leben! Sie übertrifft alle Erwartungen der Ärzte, und mit jedem Tag wird sie gesünder und stärker. Eigentlich noch gar nicht auf der Welt ist sie schon jetzt eine Kämpfernatur, 33 Zentimeter, 845 Gramm reiner Durchsetzungswillen,
Schon jetzt hat sie eine ausgeprägte Persönlichkeit, und nicht die allergeringsten Probleme, mitzuteilen, wenn ihr etwas nicht in den Kram passt, und wir sind sind ganz furchtbar stolz auf sie! Johanna wird noch für einige Wochen in der Klinik verbringen, wachsen, und lernen, und wir werden sie besuchen, und mit ihr lernen, und sie kennenlernen. Und warten und uns freuen, auf den Tag, an dem sie endlich zu uns nach Hause kommt.
Und das ist alles. Das ist die Geschichte von unserer letzten Woche, als wir lernten, daß die schwedische Neonatalmedizin zu den besten der Welt gehört; wie sich Wile E. Coyote fühlt; Vergleiche des sozialen Lebens zwischen Geiern und Ärzten, was eine Pre-eklapsie ist. Wie ist ist, Eltern zu werden. Und wie sich herausstellte, war das Letzte das Seltsamste von Allem…

2 Gedanken zu „“Und, was habt ihr letzte Woche so gemacht?”

  1. Susanne Antworten

    Respekt vor dieser Zeit. Ich freue mich sehr mit euch, dass es so ein gutes Ende genommen hat. Herzliche Grüße aus Bayern. – Susanne

  2. Anonymous Antworten

    Guten Morgen, ich wünsche Euch alles Gute. Viele Grüße aus
    Hamburg.

    Jan, Johannes und Sophia

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