Leseprobe “Valkyrie”

Django hat Monatskarte!

Morgen! Nur noch 14 Stunden, dann geht Valkyrie hinaus in die Welt, und ich bin supernervös! Und freu  mich. Und panicke. Und alles gleichzeitig.

Aber ich hab heute bereits was für euch, nämlich eine Leseprobe aus dem Buch. Es ist eine meiner Lieblingsstellen, Kapitel 6, in dem Frida zum ersten Mal auf die Donnerdrachen trifft. Action, Humor und Näckar, das Kapitel repräsentiert das Buch am allerbesten!

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Und sagt mir, wenn es euch  gefällt, ja? Ich bin derzeit ein Nervenbündel und könnte etwas Zuspruch echt gebrauchen! Und Vorbestellungen. Vorbestellungen wären auch cool. Aber vor allem Zuspruch. Ok, ich hör jetzt auf und drück einfach auf veröffentlichen…

 

Kapitel 6

Die Stockholmer U-Bahn transportierte jeden Tag zehntausende Personen, Menschen wie Norsen. Außerdem war sie so ziemlich der einzige Platz, an dem man als Norse ohne Schulabschluss einen Job bekommen konnte.

Kannst du mir meine Karte stempeln?“, fragte der junge Mann vor meiner Kabine. Ich fuhr das Trennglas hoch und griff nach der Karte.

Welche Station?“, fragte ich.

Jakobsberg.“

Ich nickte und drückte den Stempel auf das dritte Feld. Die Bahnstation Jakobsberg befand sich am nördlichen Rand von Stockholm. Zwei Felder für Innenstadt, drei für die Randbereiche, hatte man mir während der Schulung eingehämmert. „Bitte sehr, du musst am Zentralbahnhof umsteigen“, sagte ich und schob die Karte zurück.

Das kann nicht sein. Ich muss nie umsteigen“, sagte er.

Ich unterdrückte ein Stöhnen. Heute Morgen hatte ich verschlafen. Die Milch im Kühlschrank war ausgelaufen. Jemand hatte mein Kaffeepulver geklaut. Und jetzt das!

Bist du sicher, dass die Station Jakobsberg heißt?“, fragte ich.

Ich weiß nicht“, sagte er unsicher. „Irgendwas mit Jakobs Jakobsgatan?“

Ich zückte unauffällig den Straßenatlas mit allen Haltestellen Stockholms. Den Computer vor mir ignorierte ich geflissentlich. Jakobsberg, Jakobsbro kein Jakobsgatan. Ich fing an zu schwitzen.

Weißt du ungefähr, wo die Station ist?“, fragte ich.

Mitten in der Stadt. Kungsträdgarden.“ Ich unterdrückte ein Fluchen und eine scharfe Antwort. Kungsträdgarden hieß zwei Felder. Ich hatte die Karte falsch gestempelt. Jetzt musste ich dem Kunden eine Neue ausstellen, und die Alte ungültig machen. Aber brav bei meinem Chef einreichen, sonst blühte mir die nächste Verwarnung. Ich fingerte in der Schublade nach dem Block mit den neuen Karten.

Einen Augenblick bitte“, flötete ich.

Mach bitte schnell! Ich will meine Bahn nicht verpassen.“

Ich nickte und zog eine neue Karte aus dem Gummiband. Schnell füllte ich sie aus und reichte sie ihm durch den Schlitz. An meinem Schalter hatte sich eine Schlange gebildet. Es musste sich nur einer von denen beschweren, dann bekam ich noch eine Verwarnung. Und so sehr ich diese Arbeit hasste, ich konnte es mir nicht leisten, sie zu verlieren.

Die Menschen hatten gewonnen. Nicht mit Krieg und Gewalt, sondern mit Verwaltung und Bürokratie hatten sie die Norsen bezwungen. Die Norsen des Zwanzigsten Jahrhunderts lebten in einer eigenartigen Parallelgesellschaft zu den Menschen. Sie trugen keine Waffen mehr, lebten nach der Uhr, arbeiteten als Buchhalter, als Verkäufer, als Marketingagenten, und fielen abends todmüde vor den Fernseher. Viele wohnten außerhalb der großen Städte, wo sie zumindest noch einen letzten Rest ihrer ursprünglichen Wildheit beibehalten konnten. Aber einige wurden von den Städten angezogen, Göteborg, Malmö, und die Königin der Städte, Stockholm.

Hast du irgendwann mal Zeit für einen Kaffee?“

Erst jetzt bemerkte ich, dass der Typ immer noch da stand. Ich sah ihn zum ersten Mal genauer an. Seit meiner Ankunft hatte ich mich für keinen Mann interessieren können. Das würde dieser Mann, Junge, korrigierte ich mich in Gedanken, auch nicht ändern. Ungefähr einen Meter achtzig groß, halblange braune Haare. Und Sommersprossen? Ich hatte noch nie einen Norsen mit Sommersprossen gesehen. Er sah eher wie ein Mensch aus, wäre da nicht der typische Goldglanz in seinen Augen gewesen, die ohne zu blinzeln in meine starrten. Wahrscheinlich hatte er in einer Zeitschrift gelesen, dass er damit Frauen beeindrucken konnte. Eigentlich war er niedlich und vielleicht würde er irgendwann einmal passabel aussehen. Aber ich hatte keine Zeit, darauf zu warten.

Nein“, antwortete ich immer noch freundlich, aber bestimmt.

Er bewegte sich nicht. „Warum nicht?“

Könnt ihr vielleicht mal schneller machen da vorne“, kam eine Stimme aus der Schlange.

Vielleicht in ein paar Jahren, wenn du älter bist.“

Er grinste, als hätte ich einen Scherz gemacht. „Ich bin älter, als ich aussehe.“

Mittlerweile war die Schlange unruhig geworden.

„Nicht alt genug“, sagte ich.

„Wollen wir wetten?“ Es schien ihm Spaß zu machen, mich zu nerven.

Bedaure, kein Interesse. Bitte mach jetzt den Weg frei, andere Leute wollen auch durch.“

Kein Problem.“ Er lachte. „Sag mir, wann ich dich treffen darf, und ich bin sofort verschwunden.“

Sag mal, welchen Teil von nicht interessiert verstehst du nicht?“

Den Teil mit nicht“, antwortete er völlig unbeeindruckt.

Inkompetentes Personal haben die hier“, murrte ein älterer Troll. Der Iltis auf seinem Arm zischte mich an.

Nun reichte es. Ich zog meinen rechten Hemdsärmel nach oben, so dass meine Tätowierung sichtbar wurde, und atmete langsam ein. Die Magie prickelte auf meiner Zunge wie Brausepulver.

Deine Bahn fährt gleich“, sagte ich mit einer Stimme, die normalerweise Odins Deklarationen vorbehalten blieb. Der Junge starrte auf die Tätowierung mit einer Mischung aus Schrecken und Verwirrung. Dann hastete er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Walküren waren gemeinsam mit den Asen verschwunden, und die modernen Norsen kannten das Zeichen nicht. Sie wussten aber wohl instinktiv, dass es Ärger bedeutete.

Mein Triumph verflog so schnell, wie er gekommen war, während ich die übrigen Kunden bediente, böse Blicke und Gemurmel ignorierend. Frida, Walküre, Herrin des Kriegs, Geliebte Odins, verjagt unliebsame Bahnkunden! Ich war tief gesunken. Sollte das meine Zukunft sein, den ganzen Tag in einer zugigen Kabine zu sitzen und Karten zu stempeln? Dann wollte ich mich lieber gleich in mein Schwert stürzen. Ach nein, das konnte ich ja nicht. Denn mein Schwert war mitsamt dem Rest meiner Welt, dem Rest meiner Freunde und meiner Sippe verschwunden. Ich lachte bitter auf. Zu alt für den Typen! Nicht zehn Jahre, tausend Jahre zu alt.

Kunden kamen und ich fertigte sie ab, während düstere Gedanken wie Mückenschwärme durch meinen Geist zogen.

Mit dem Gesicht siehst du aber nicht sehr kundenfreundlich aus“, unterbrach eine Stimme meine Grübelei.

Hallo Ole!“ Ich setzte ein Lächeln auf und sah zu dem Troll hinab. Wir befanden uns in einer den Norsen vorbehaltenen U-Bahn-Stationen und Ole hatte seine menschliche Tarnung abgelegt. Nur das Zucken über seinem rechten Auge erinnerte noch an den Mann, der mich vor sechs Wochen bei Ikea verhaftet hatte. Ole Tharök gehörte zu den Felsentrollen, einem der am meisten verbreiteten Norsenvölker Skandinaviens. Felsentrolle waren die Trolle aus den modernen Fantasygeschichten: Ihre Haut war hart wie der Felsen, in dem sie lebten und von dem sie sich ernährten. Die meisten Felsentrolle waren gutmütig, aber etwas schwer von Begriff, und Ole war da keine Ausnahme. Mit seinen knappen ein Meter sechzig gehörte Ole zu den kleineren seiner Rasse, allerdings war er beinahe so breit wie hoch und wirkte mehr gemauert als gewachsen. Dazu kamen Hände wie Schaufeln und Zähne, die einem Bären gut zu Gesicht gestanden hätten. Das Einzige, was nicht zu dem Bild eines Schlägers passte, war das rechte Auge, das zuckte, wenn Ole nervös war. Ich fürchte, seine Zuckungen waren schlimmer geworden, seit er mich kannte.

Wie gefällt dir deine neue Arbeit?“, fragte er.

Ist in Ordnung“, sagte ich. Ole hatte einige Gefallen einfordern müssen, um mir diesen Job zu besorgen. Da wollte ich nicht undankbar sein.

Ich habe dir die Auswertung vom Arbeitsamt mitgebracht. Ich dachte, vielleicht kann ich dir bei dem Fragebogen helfen.“

Jeder neu zugezogene Norse musste, wollte er ein Dach über dem Kopf haben, an einer einwöchigen Schulung des norsischen Arbeitsamts teilnehmen. Einige bevorzugten die Obdachlosigkeit. Ich konnte sie verstehen. Auf Asgard hatten wir Frostriesen, Loki, die Midgardschlange und den Fenriswolf zu fürchten. Stockholm hatte das Arbeitsamt. Die Monster waren mir lieber!

Frage Nummer eins“, begann Ole. „Auf einer Skala von eins bis fünf, wie sehr hat dir der Kurs geholfen bei der Zielorientierung?“

Eins!“

Eins ist das Schlechteste.“

Ja, und?“

Der Kurs hat dir nicht geholfen, deine Ziele genauer zu definieren?“

Nein.“

Sichtlich zögernd kreuzte Ole die Eins an.

Selbstvermarktung?“

Eins.“

Nun, komm aber, Frida. Erzähl mir nicht, dass du vorher keine Probleme im Bereich Selbstvermarktung hattest!“

Stimmt, ich hatte vorher nicht gewusst, was Selbstvermarktung war. „Gut, dann drei“, gab ich nach.

Ich habe gehört, dass du bei der Übung am letzten Tag am besten von allen abgeschnitten hast“, sagte Ole aufmunternd.

Ja!“ Wir hatten die Aufgabe bekommen, uns vorzustellen, was wir am liebsten sein wollten, egal was, und

Du hast beschrieben, wie es wäre, eine Walküre zu sein?“, fragte Ole.

Nein. Ich hatte beschrieben, wie es gewesen war, eine Walküre zu sein. Aber Walküren gab es nicht mehr.

Du wärst wirklich gerne eine Kämpferin, nicht wahr?“, sagte Ole in die entstehende Pause hinein.

Ja“, sagte ich, und wie so oft in den letzten Wochen fühlte ich die Einsamkeit meinen Hals zuschnüren. „Ich mache den Test nachher allein fertig. Wohin bist du unterwegs?“, wechselte ich schnell das Thema.

Gamla Stan“, sagte er mit gequältem Gesichtsausdruck, wie immer, wenn er von der Altstadt Stockholms sprach.

Wenn eines Tages jemand Gamla Stan niederbrennt, werden sie als Erstes dich verdächtigen“, sagte ich mit einem Lachen.

Wie meinst du das?“, fragte er erschrocken.

So verzweifelt, wie du den Namen aussprichst.“

Wie kannst du so etwas sagen? Das wäre entsetzlich. Dann würden die Menschen uns bestimmt entdecken.“

Beruhige dich, es war doch nur ein Scherz!“, versuchte ich, einzulenken.

Außerdem wäre das gegen das Gesetz.“

Da hast du natürlich völlig recht“, sagte ich ernst.

Er schwieg, und ich musste mir wieder ins Gedächtnis rufen, dass Ole das Konzept der Ironie fremd war. Unpraktisch für einen Polizisten. Und ungewöhnlich. In den Krimis im Fernsehen waren die Polizisten immer total ironisch.

Ich dachte, ihr arbeitet nicht in Gamla Stan? Hast du nicht gesagt, was in Gamla passiert, bleibt in Gamla?“, fragte ich.

Dort gibt es einen Troll, der Menschen ausraubt“, sagte Ole zur Erklärung.

Ist er dumm oder lebensmüde?“ Norsen und Menschen lebten nebeneinander in Stockholm, ohne dass die Menschen von unserer Anwesenheit wussten. In den Jahrhunderten, in denen Odin verschwunden war, hatte es blutige Kriege zwischen den Menschen und den Norsen gegeben. Schließlich hatten wir uns versteckt und lebten nun im Verborgenen weiter. Diesen Zustand aufrechtzuerhalten, war die Hauptaufgabe der SNP. Das war auch mein eigentliches Vergehen gewesen: nicht, dass ich im Ikea Essen gestohlen hatte, sondern der Umstand, dass die Menschen auf mich hätten aufmerksam werden können.

„Er kommt aus einem Ort in der Nähe von Kiruna und ist es gewohnt den ganzen Tag zu laufen, ohne einen einzigen Menschen zu sehen.“

„Ich verstehe“, sagte ich. „Einer von deinen?“

Ole arbeitete in der Abteilung Neu-Stockholmer, die Norsen, die vom Land nach Stockholm gekommen waren, bei der Eingewöhnung half. Die meisten Polizisten nutzten die Abteilung als Trittbrett zum Aufstieg. Aber Ole machte die Arbeit mit den jungen Leuten Spaß. Er war ein guter Kerl und verbrachte erheblich mehr Zeit mit seinen Schützlingen, als er bezahlt bekam. Deswegen war er wahrscheinlich auch rein zufällig hier vorbeigekommen. Ich vermutete außerdem, dass er eine Schwäche für mich hatte. Noch ein netter, aber uninteressanter Mann in meinem Leben.

Ja, einer von meinen“, sagte Ole. „Guter Junge. Bisschen heißblütig, aber ein gutes Herz.“ Dasselbe sagte Ole wahrscheinlich auch über mich.

Dann hoffe ich, dass du ihn findest.“

Ole wurde von drei schrillen Pfeifsignalen unterbrochen. Es gab einen dumpfen Knall. Der Boden zitterte. Nach einigen Sekunden erklang ein lang gezogenes Pfeifen. Die U-Bahn wurde derzeit ausgebaut, und da Stockholm zum größten Teil auf Granit stand, mussten die Tunnel dafür mit Dynamit gesprengt werden. Die Trolle, die in den Tunneln wohnten, beschwerten sich über den Lärm, aber die Wartelisten für die Wohnungen im neu entstehenden Citytunnel waren angeblich schon voll.

„Wann hast du Feierabend?“, fragte Ole.

Seit einer halben Stunde, aber meine Ablösung ist noch nicht aufgetaucht.“

Dann musst du dich beschweren.“

Sandy ist eine Elfe. Die sind nun einmal unzuverlässig und lassen sich leicht ablenken“, sagte ich.

Das hat damit nichts zu tun. Regeln müssen für alle gelten, egal welche Rasse.“

Ich zuckte mit den Schultern und murmelte etwas Unverbindliches. Sandy verspätete sich nicht aus böser Absicht. Elfen waren nun einmal so, sie hatten schon zu meiner Zeit nichts anderes im Sinn gehabt, als herumzufliegen und den Tag zu vertändeln. Aber das konnte ich Ole nicht erklären. Die Uhr war sein Ein und Alles. Gerade sah er wieder darauf.

Denk bitte an den Fragebogen“, sagte Ole.

Mache ich“, bestätigte ich und nahm mir fest vor, ihn zu vergessen. Du hast mir beim letzten Mal von der Kriegerschule erzählt?“, wechselte ich das Thema. Von irgendetwas musste ich in Stockholm leben, bis ich einen Heimweg fand.

Sobald du die Dokumente für deinen Schulabschluss aus deinem Heimatort bekommen hast, kannst du dich für die Eingangsprüfungen dort anmelden“, antwortete Ole.

Nur, dass ich keine Dokumente für einen Schulabschluss bekommen würde, weil ich nie eine Schule besucht hatte.

So ein Zertifikat ist wichtig. Damit weiß dein zukünftiger Arbeitgeber, dass du nicht nur die Kampftechniken beherrschst, sondern auch die gesetzlichen Bestimmungen, Taktiken und Erste Hilfe“, fuhr Ole fort.

Wofür Erste Hilfe? Erst verwunden, dann zusammenflicken?“

Er seufzte tief und sein Auge zuckte jetzt unaufhörlich. Armer Ole! Ohne ihn wäre ich in dieser modernen Welt untergegangen. Er hatte mir ein Zimmer besorgt, mit dem Papierkram geholfen, ohne den man nicht einmal eine Pizza bestellen konnte.

„Ich werde mich um die Dokumente bemühen“, sagte ich. Bestimmt konnte man sie irgendwie fälschen.

„Das ist die richtige Einstellung. Und dann dauert es nur noch drei Jahre, und du hast dein Zertifikat in der Tasche.“

Ich lächelte reflexartig, um mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Drei Jahre?

Eine halbe Stunde später war Sandy immer noch nicht aufgetaucht. Ich überlegte, meinen Schalter einfach dichtzumachen. Aber dann würden wir beide Ärger kriegen. Ole hatte schon recht, ich sollte mich über sie beschweren. Aber man schwärzte keine Waffengefährten an. Das machte man einfach nicht.

Seufzend wandte ich mich wieder meinem Stadtplan zu. Es war eine billige Karte vom Süden Stockholms. An den Kanten war sie vom vielen Gebrauch schon gerissen, außerdem mit Anmerkungen in schwarzer, grüner und roter Tinte versehen, so dass die eigentliche Karte darunter kaum noch zu erkennen war. Der Bereich westlich von Ikea war noch frei von roter Farbe. Dort würde ich morgen meinen freien Tag verbringen. Ich hatte das Gelände bereits zweimal durchsucht, daher die schwarzen und grünen Markierungen. Aber vielleicht hatte ich etwas übersehen. Ich musste nur sorgfältig genug suchen, dann würde ich bestimmt eine Spur nach Asgard finden. Bestimmt!

Mittlerweile kamen nur noch selten neue Fahrgäste. Mechanisch stempelte ich ihre Karten. Manche besaßen auch Wohnscheine. Die Hälfte der Stockholmer Trollpopulation wohnt in den Nebenschächten der Bahn. Diese Wesen, die ursprünglich in Felsenhöhlen hausten, konnten ihr Glück kaum fassen, in der Großstadt so perfekte und geräumige Wohnungen vorzufinden.

Menschen sind schon seltsam: Sie halten sich Haustiere, Hunde und Katzen, aber auch unnütze Tiere wie Wellensittiche oder Hamster oder, völlig abwegig, nicht essbare Kaninchen. Für die wilden Vögel hängen sie kleine Holzkästen in ihre Gärten und streuen im Winter wertvolles Saatgut aus. Sie versammeln die Kreaturen dieser Welt um sich, als hätten sie furchtbare Angst davor, allein gelassen zu werden. Und für uns Norsen bauen sie ihre Städte so, dass wir hier ideal leben können. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es heute mehr Norsen als zu Zeiten Odins. Auch Norsen müssen essen, und Nahrung war im kalten Midgard, ich meine Skandinavien, immer rar gewesen. Aber in den Städten gibt es nun Essen im Überfluss, und Parks, Felsen, Gards, verlassene Häuser und andere Plätze. Die Menschen wissen ja nicht mehr, dass wir Norsen existieren. Aber ich frage mich, ob sie es nicht doch instinktiv spüren.

Die Norsen bewohnen nicht nur die Höhlen der U-Bahn, sie nutzen auch die Bahnen selbst, um sich fortzubewegen. Norsen neigen zu Aggressionen und nach mehreren bedauerlichen Zwischenfällen ist es ihnen strengstens untersagt, Auto zu fahren. (Ich wusste nichts Genaues, nur dass Oles Auge furchtbar zu zucken begann, wenn ich ihn darauf ansprach.) Neben den U-Bahnen der Menschen haben wir eigene Bahnen, die von Zwergen betrieben werden. Diese Norsenrasse, traditionell Handwerker und Bergleute, ist die Einzige, die problemlos unter der Erde navigieren kann. Und da sie sehr genau sind, kommen die Norsen-U-Bahnen stets pünktlich. Allerdings sind Zwerge geizig und haben es deswegen schwer, Personal zu bekommen – wohl der einzige Grund, warum sie mir den Job gegeben hatten.

Drei Jugendliche näherten sich den Absperrungen. Der aufrechte Gang, der keine Uhr und keinen Herrn kannte und die Breitschwerter auf ihren Rücken wiesen sie als Gamla-Stan-Norsen aus. Die beiden Jungen waren gleich groß, ungefähr einen Meter siebzig. Der Linke war untersetzt und hatte langes braunes Haar, der andere war schlaksig, blonde Locken kringelten sich auf seinem Kopf, als hätten sie ein Eigenleben. Trollblut der Braune, Kobold der Lockenkopf, entschied ich nach kurzem Überlegen. Ich hatte mir angewöhnt, während meiner Arbeit die Rassen meiner Kunden zu erraten, um nicht vor Langeweile zu sterben. Das Mädchen in ihrer Mitte war so groß wie die Jungen, trug aber Stiefel mit Absätzen, außerdem ein schwarzes Samtkleid mit auffälliger Schnürung über ihrem Busen und sah aus wie die Heldin aus einem der schrecklichen Liebesromane, die Sandy verschlang.

Das Mädchen war eine Vittra, Gestaltwandler, die mit den Elstern verwandt sind. Ich hatte diese legendären und legendär attraktiven Wesen nur dreimal vorher gesehen. Sie waren schon zu Odins Zeiten selten gewesen und nun praktisch ausgestorben. Eine Tragödie für ihr Volk, aber ein Glücksfall für die Frauen anderer Rassen. Ich habe meine Chancen beim anderen Geschlecht, abgesehen von der Flaute der letzten Monate. Aber bei dieser Frau konnte ich nicht anders, als zu starren und Minderwertigkeitskomplexe zu bekommen. Ihre Haare in der Farbe von Mitternachtstinte waren auf der einen Seite kurz geschoren und hingen auf der anderen Seite lang herab, was ihr ausdrucksvolles Gesicht betonte. In der perfekt geschwungenen Nase trug sie mehrere Ringe. Was ein anderes Gesicht entstellt hätte, verlieh ihr ein leicht asymmetrisches Aussehen, wie ein Schönheitsfleck, der ihre unirdische Schönheit noch betonte. Ich riss meinen Blick von dem Mädchen los und wandte meine Aufmerksamkeit wieder den Schwertern zu. Nach einem bedauerlichen Zwischenfall letzte Woche schaute ich da lieber zweimal hin. Aber hej, woher sollte ich wissen, was ein LARP ist? Der Blonde drehte sich um, und ich konnte das Metall blitzen sehen. Ich hatte mich nicht geirrt, es waren echte Waffen, scharf geschliffen, und so wie sich das Licht in den Scharten brach, regelmäßig benutzt. Unwillkürlich griff ich an meine linke Seite, wo mein eigenes Schwert hing. Hängen sollte, stellte ich wohl zum hundertsten Mal mit scharfem Bedauern fest. Ich war neugierig, wo sie wohl ihre Schwerter benutzten. Hoffentlich kamen sie zu mir, dann konnte ich sie fragen.

Tatsächlich sahen sie kurz herüber. Sie grinsten einander zu. Das Mädchen rannte auf die automatischen Türen zu und sprang. Die Türen waren erst vor einigen Monaten erneuert und erhöht worden, um Schwarzfahrer abzuschrecken, aber sie überwand die Sperre mühelos. Mit einem Satz sprang sie auf die andere Seite und landete in einem Spagat. Angeberin!

He!“, schrie ich.

Die Jungen lachten und jetzt sah ich, dass ihre Gesichter grün waren, so grün wie frisches Seegras. Der Braunhaarige sprang aus dem Stand über die Tür. Der Blonde nahm Anlauf, schoss kopfüber auf die Sperre zu. Für einen Moment dachte ich, er würde sich den Kopf an der Tür einschlagen. Aber dann gewann er an Höhe, machte einen Handstand auf den Toren und sprang mit einem Überschlag auf die andere Seite. Trotz meines Ärgers konnte ich nicht umhin, ihre Vorstellung zu bewundern. Das Mädchen bewegte sich mit vogelgleicher Grazie. Die Jungen glitten durch die Luft wie Lachse in einem Gebirgsbach. Ich hatte mich getäuscht, nicht Troll und Kobold: Näckar, alle beide! Die Näckar waren eigentlich Wassergeister, aber hier in Stockholm, der Stadt zwischen den Wassern, hatten sie ein zweites Zuhause gefunden. Aber das gab ihnen noch lange nicht das Recht, während meiner Schicht schwarzzufahren.

Okay Kinder, ihr habt euren Spaß gehabt. Jetzt möchte ich eure Fahrkarten sehen!“, rief ich.

Das Mädchen drehte sich zu mir um, als bemerkte sie mich erst jetzt. Amethystfarbene Augen unter dramatisch blau-schwarzem Lidschatten musterten mich von oben bis unten, meinen gestreiften Pullover, die Hose, die mir zehn Zentimeter zu kurz war. Ich hatte bisher noch kein Geld für Kleidung zurücklegen können und angezogen, was ich im Wohnheim gefunden hatte. Kurz, ich sah beschissen aus.

Unsere Fahrkarten will sie sehen“, wiederholte das Mädchen, jede Silbe betonend.

Der Braunhaarige warf seinen Mantel in dramatischer Pose zurecht. „Django zahlt heute nicht“, proklamierte er, als stünde er auf einer Bühne.

Die drei lachten und rannten zu der Rolltreppe, die zu den Gleisen führten. Für solch einen Fall hatte ich klare Anweisungen: Bahnpolizei anrufen und an Ort und Stelle bleiben. Zorn wallte in mir auf. Es reichte! Ich hatte meine Sippe verloren, ein Schicksal schlimmer als der Tod. Ich musste diesen grauenhaften Job machen, um zu überleben, und die Demütigungen des Arbeitsamts steckten mir immer noch in den Knochen. Ich würde mich nicht von ein paar Jugendlichen erniedrigen lassen. Ohne weiter zu zögern, nahm ich die Verfolgung auf.

Ich hasse Rolltreppen! Treppen, die sich bewegen, sind mir suspekt. Meine Beute schien derartige Bedenken nicht zu teilen. Das Mädchen sprang kopfüber die Treppe hinab. Sie breitete die Arme aus und ihr Mantel entfaltete sich wie zu einem Paar Flügel. Die Jungen sprangen auf die Metallfläche zwischen den beiden Treppen und rutschten nach unten. Schon nach wenigen Metern hatten sie eine halsbrecherische Geschwindigkeit erreicht. Funken sprühten von ihren Sohlen.

Die werden sich alle Knochen brechen, dachte ich, während ich die Treppe hinunter hastete, Passanten und Kinderwagen auf meinem Weg ausweichend. Ich war erst auf der Hälfte der Treppe, als die Jungen unten ankamen. Statt zu bremsen, stießen sie sich von der Fläche ab, flogen gute vier Meter durch die Luft, landeten auf den Füßen und rollten sich gleich wieder ab. Drei Purzelbäume schlugen sie. Mit dem Restschwung kamen sie in einer einzigen fließenden Bewegung wieder auf die Beine und rannten weiter.

Als ich endlich unten ankam, waren sie nicht mehr zu sehen. Ich sah mich in der Menge um. Es war Freitagnacht, und die Bahnsteige waren überfüllt. Das Gleis rechts von mir führte Richtung Innenstadt, das linke aus der Stadt hinaus. Die beiden Gleise waren an mehreren Stellen von einer mit Durchbrüchen versehenen Wand getrennt. Wenn ich mich für den falschen Gang entschied, konnten sie einfach über den anderen entkommen. Das ist dumm, du solltest zurück zu deiner Station, sagte die Stimme der Vernunft in mir. Ich schüttelte den Kopf. Diese Kinder hatten mich nicht nur für dumm verkauft, sondern sich auch noch über mich lustig gemacht.

Ich musste mich für einen der Bahnsteige entscheiden. Die Kinder sahen aus, als wollten sie heute noch feiern. Ich entschied mich für das Gleis Richtung Innenstadt und schob mich rasch an den wartenden Leuten vorbei. Laut Anzeige waren es noch vier Minuten, bis die Bahn ankommen sollte. Vor mir sah ich einen Schwertknauf aus der Menge aufragen. Ich schlich näher. Drei Minuten. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Ein Viking drehte sich um und lächelte mir zu, auf dem Rücken die Imitation eines Schwertknaufs aus billigem Plastik, der letzte Schrei dieser Modesaison. Ich murmelte eine Entschuldigung und hastete weiter. Nur noch zwei Minuten! Wo würde ich mich an ihrer Stelle verstecken? Mein Blick fiel auf den letzten Durchbruch in der Mauer. Ich schlich näher und lugte um die Ecke. Da waren sie. Sie saßen in der Mitte des Durchbruchs und unterhielten sich. Scheinbar hatten sie nicht damit gerechnet, dass ich sie weiter verfolgte. Hinter mir hörte ich das tiefe Rumpeln der ankommenden Bahn. Die drei drehten sich in Richtung des Zuges und sahen mich. Sie sprangen auf und starrten mich an.

Boah, ist die hartnäckig“, hörte ich das Mädchen sagen.

Das wars dann wohl“, sagte ich. Hinter mir hörte ich das Quietschen der Bremsen. Im Gegensatz zu den Bahnen der Menschen waren diese Wagen nicht überdacht, sondern offen, und ähnelten den Loren, mit denen die Zwerge früher das Erz aus dem Fels geschafft hatten. Die Bahn hielt nicht, sondern bremste nur, so dass Passagiere auf- und abspringen konnten. Die drei rannten los und versuchten, rechts an mir vorbeizukommen, aber diesmal standen ihnen Passanten im Weg, und ich konnte ihnen ohne Probleme den Weg abschneiden. Die Bahn beschleunigte schon wieder. Sie versuchten erneut, um mich herum an den Zug zu kommen, aber wieder versperrte ich ihnen den Weg. Hinter mir erklang ein lang gezogenes Pfeifen und die Bahn verschwand in dem Tunnel. Der Braunhaarige fluchte.

Hej, lass das nicht deine Mutter hören“, neckte ich ihn.

Ja, Bragi, achte bitte auf deine Wortwahl!“, sagte die Vittra mit todernster Stimme.

Die drei sahen sich an. Dann rannten sie gleichzeitig los – auf mich zu. Der Blonde sprang rechts an mir vorbei, der andere, den das Mädchen Bragi genannt hatte, links. Ich konnte nur einen schnappen und entschied mich für den Blondschopf. Ich ging in die Knie, griff nach ihm und bekam ihn an der Hüfte zu fassen. Mit einer Hebeldrehung warf ich ihn zu Boden. Zumindest wollte ich das, aber er schlug einen Salto und war im nächsten Augenblick wieder auf den Beinen. Aber ich hielt ihn weiter an seinem Hemd fest. Das Mädchen machte einen Satz und rannte horizontal an der Wand entlang. Gleichzeitig zog sie ihr Schwert und schlug nach mir. Sie traf meine linke Hand mit der flachen Seite. Das tat weh! Der Junge zuckte in meinem Griff wie ein Fisch in der Hand eines Anglers, und kam frei. Im nächsten Moment war er schon auf und davon, hinter seinen Kumpanen her. Verflixte Näckar! Ich rannte hinter den Kindern her – und jubilierte innerlich. Sie waren links herum abgebogen. Und dort war eine Sackgasse. Keine Treppe, kein Aufgang, nur der Tunnel der U-Bahn. Jetzt hatte ich sie. Gleich würden sie anhalten. Gleich müssten sie anhalten. Gleich Meine Freude erstarb. Sie rannten auf die Mauer zu, ohne zu bremsen. Zwei Meter von der Mauer entfernt schlugen sie einen Haken nach rechts und sprangen direkt auf das Gleis. Ein Funkenregen spritze auf, als sie das Stromkabel zwischen den Gleisen berührten. Sie federten sich ab und rannten in den Bahntunnel. Fluchend nahm ich die Verfolgung auf.

Schwache Lampen tauchten den Schacht in düsteres Licht. Die Kinder waren irgendwo vor mir. Walküren haben von allen Norsen die schlechteste Nachtsicht, sehen aber immer noch besser als Menschen, die im Dunkeln praktisch blind sind. Ich konnte zumindest gut genug sehen, um zwischen den schottergefüllten Gleisen nicht zu stolpern. Etwa fünfzig Meter vor mir knickte der Tunnel nach rechts ab. In der linken Wand tat sich eine Nische auf, eine Schutzmaßnahme für Arbeiter. Ich bremste ab und sah hinein. Leer! Ich hastete weiter.

Direkt hinter der Kurve teilte sich das Gleis und ich blieb erneut stehen. Zwei schwarze Löcher gähnten vor mir. Welchen Gang hatten sie genommen? Es knallte im rechten Tunnel. Ich rannte hinein, und sah erst mal gar nichts. Dafür roch ich etwas. Der Geruch nach frischem Schießpulver überlagerte den allgegenwärtigen Mix aus nassem Stein, Teer und brennendem Staub. Ich blieb stehen. Meine Augen hatten sich zwischenzeitlich an die Dunkelheit gewöhnt und ich konnte etwas im Gleisbett liegen sehen. Es war ein grünes Stück Gummi, zerrissen und nach Schießpulver riechend. In den Geschäften wurden diese Gummis als Knallfrösche verkauft. Ich grinste. Erfindungsreich waren sie ja, das musste man ihnen lassen. Ich schlich zurück in den Hauptgang und weiter in den linken Schacht.

Wieder war ich für einen Moment quasi blind. Ich trat vorsichtig vorwärts. Unter meinem Schuh knirschte ein Stein. Vor mir hörte ich ein unterdrücktes Fluchen und das Geräusch sich hastig entfernender Schritte. Fast hätte ich sie mit den Händen greifen können.

Der Gang wand sich nun hin und her und führte leicht nach oben. Vor mir leuchtete etwas. Scheinbar hatten sie es aufgegeben, sich zu verstecken. Allerdings Das Licht kam auf mich zu. Und war zu groß, um zu einer Taschenlampe zu gehören. Das waren nicht die Näckar, das war – der Zwanzigvorzug! Ich rettete mich mit einem schnellen Sprung nach rechts an das Gitter, das zum Schutz vor Steinschlag an der Wand angebracht war. Aus dem Schaffnerhaus glotzte mich ein Tomte mit entsetzter Miene an. Dann raste der Zug an mir vorbei. Die nächste Verwarnung ließ sich wohl nicht mehr vermeiden. Tomtes sind sprichwörtlich pedantisch und die Chancen, dass er mich nicht meldete, standen bei null. Vielleicht hatte er mich ja nicht erkannt!

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung. Das Vittra-Mädchen hing auf der anderen Seite des Schachtes an der Wand. Sie erwiderte meinen Blick, dann ließ sie sich fallen und rannte in einen niedrigen Seitenstollen, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Ich seufzte und folgte ihr, den Kopf einziehend. Das hier war kein regulärer Tunnel, sondern wahrscheinlich ein Versorgungsstollen oder ein Durchstich, um zwischen den großen Tunneln abzukürzen. Nach wenigen Metern öffnete er sich in eine große Höhle. Die Vittra war in der Mitte stehen geblieben. Ich rannte zu ihr und packte ihren Oberarm.

Jetzt habe ich dich“, sagte ich.

Sie beachtete mich nicht, sondern starrte die Wand an.

Ich folgte ihrem Blick. Auf der Wand waren gelbe Kreise aufgemalt, etwa so groß wie Geldstücke. Zwischen den Kreisen verliefen Kabel.

Was ist das?“, fragte ich.

Dynamitkappen.“ Fassungsloses Entsetzen vibrierte in ihrer Stimme. „Wir sind im Citytunnel.“

Aber der wird doch gerade erst gesprengt“, sagte ich.

Genau!“

Da ertönte ein Knacken in den Kabeln. Das Dynamit war scharf.

Lauf!“, brüllte ich und zerrte sie zurück in den Tunnel.

Wir rannten.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit wir hatten, vielleicht wären wir schnell ge- Die Sirene erschallte.

Ich zerrte sie zu Boden und deckte sie mit meinem Körper. Für einen Augenblick war alles still. Vielleicht war die Sprengung missglückt? Ich hob meinen Kopf. Die Druckwelle schleuderte uns mehrere Fuß den Gang hinab. Staub und Steine regneten auf uns. Dann wurde es still.

Ich stand auf und tastete meine Glieder ab. Nichts gebrochen. Wenn jemand denkt, Actionfilme wären unrealistisch: Nein, nicht für Norsen! Abgesehen davon, dass die Heldinnen in den Actionfilmen immer perfekt frisiert aus den Explosionen kamen. Der Geruch nach verbrannten Haaren verriet mir, dass meine Frisur mal wieder ruiniert war. Das Mädchen stand unsicher auf. Ihre Haare standen nach allen Seiten ab, was sie wie einen seltsam einseitigen Igel aussehen ließ. Sonst schien auch sie unverletzt zu sein.

Bist du in Ordnung?“, vergewisserte ich mich.

Ja“, sagte sie. „Ich glaube schon.“

Dann lass uns von hier verschwinden.“

Sie nickte. Uns gegenseitig stützend humpelten wir zurück. Wenige Minuten später sahen wir das Licht der Station. Wir fielen aus dem Tunnel, hilfreiche Hände griffen nach uns und zogen uns aus dem Gleisbett. Keuchend blieben wir liegen.

Imp, um Himmels willen, was ist denn mit dir passiert?“, hörte ich eine Männerstimme. Die Näckar knieten neben uns nieder, der Blonde begann, das Mädchen abzutasten.

Pfoten weg, du Perversling“, knurrte sie und setzte sich auf.

Bäh, du stinkst!“, sagte er.

Du auch!“, gab sie zurück.

Du rauchst auch noch dabei.“ Tatsächlich stieg aus ihrem Mantelkragen eine feine Rauchsäule auf. Der Brandgeruch kam also nicht nur von mir.

Sie wandte sich mir zu. „Danke, dass du mich aus dem Tunnel geholt hast. Das hätte ins Auge gehen können.“

Keine Ursache“, sagte ich.

Bist du unverletzt?“, wandte sich der Braunhaarige, Bragi, an mich.

Ich nickte.

Dann haben wir ja alle noch mal Glück gehabt.“ Er zog sein Schwert hervor. Dann werden wir uns an dieser Stelle verabschieden. Es hat Spaß gemacht, aber wir haben leider heute noch eine Verabredung.“ Mein Blick fiel auf den Rucksack des Blonden, aus dem der Schwertknauf herausragte. Bragi lachte ungläubig.

Das willst du nicht wirklich.“

Ich legte den Kopf schief. „Doch, eigentlich würde ich schon gerne.“

Er sah zu dem Blonden. „Albin, würdest du der Dame Schwert und Geleit antragen?“

Das Mädchen schnaubte. „Bragi, lass sie in Ruhe! Der Abend war lang genug.“

Der Blonde, Albin, zog das Schwert und reichte es mir mit einer übertriebenen Verbeugung. „Aber gern doch! Verletz dich bitte nicht.“

Ich grinste. „Vielen Dank für deine Sorge.“

Bragi stellte sich in Grundposition „Dann mal los!“

Drei Attacken später lag sein Schwert im Gleisbett, während er sein Handgelenk umklammerte.

Kühl es heute, damit es nicht anschwillt, dann sollte es morgen wieder in Ordnung sein“, sagte ich, als hätte ich eine meiner jungen Walküren vor mir.

Was ist denn hier los?“, fragte eine Stimme hinter mir. Jemand hatte den Stationsverantwortlichen gerufen. Ich kannte ihn von der Schulung, noch ein querulanter Tomte.

Ich habe diese Schwarzfahrer hier gestellt“, sagte ich stolz.

Er sah mich fassungslos an. „Mit einem Schwert?“

Nun – ja.“

Außerdem sind wir keine Schwarzfahrer“, protestierte Bragi in verletztem Ton.

Genau!“, bekräftigte Albin.

Wir haben Monatskarten“, sagte Imp und wie auf Kommando zogen alle drei eine Plastikkarte hervor.

Wir gehen wohl besser in mein Büro, um das zu klären“, sagte der Tomte.

Aber warum habt ihr nicht gesagt, dass ihr Fahrkarten habt?“, fragte ich Albin, während wir hinter dem Tomte hertrotteten.

Wo wär denn da der Spaß?“

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