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Regenbogenbanner vorm Königspalast Foto: Tina |
Derzeit weht an den Regierungsgebäuden Stockholms, an den Bussen, sogar am Königspalast nicht die gewohnte blau-gelbe Schwedische Flagge, sondern das Regenbogenbanner. Es ist die Stockholm Pride Week, die größte Veranstaltung homosexueller Kultur in Skandinavien- und nebenbei das größte Volksfest Stockholms. Eine Woche lang brummt die Stadt vor Lesungen, Vorführungen, Filmen, Straßenkünstler gaben spontane Vorstellungen, und dazwischen, immer wieder, die Regenbogenflagge. Selten wirkt Stockholm so bunt und so lebendig wie in dieser Woche, und mehr als ein von skandinavischer Kühle müder Stockholmer wünscht sich: könnte es nicht immer so sein….
Der erste Christopher Street Day
Die Stockholm Pride steht, ebenso wie die Christopher Street Days (die, ganz nebenbei nur in deutschsprachigen Raum so heißen), in der Tradition der Schwulenbewegung von 1969. Zu dieser Zeit war es in so ziemlich allen Ländern illegal, homosexuell zu sein. Seine Neigung ausleben konnte man nur in heimlichen Treffen, meist in dunklen Ecken oder noch dunkleren Bars, und dort erwischt zu werden, bedeutete nicht nur Schande und Ärger mit der Ehefrau, sondern eventuell den Verlust des Arbeitsplatzes oder Gefängnis. Gleichzeitig waren Schwule beliebte Zielscheiben für die Polizei, denn die wehrten sich nicht. Bis 1969, als sich die Homosexuellen bei einer Razzia in San Franciscos Christopher Street weigerten, verhaften zu lassen. Dies war der Anfang der Schwulenbewegung, in der Homosexuelle Schritt für Schritt mehr Rechte erstritten (angefangen mit dem Recht, nicht spontan von der Polizei verprügelt und eingeknastet zu werden). Seitdem gibt es, in Erinnerung an diesen Tag überall auf der Welt die Pride Weeks. Meist sind sie, wie in Stockholm ein Mix aus Kulturereignissen, politischen Diskussionen und fröhlichen Feiern.
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Die Parade beginnt Foto: Tina |
Als Höhepunkt und in Erinnerung des ersten Christopher Street Days, werden große Paraden abgehalten. In Stockholm fällt die Parade immer auf den Samstag, bevor Sonntags die Pride Week zuende geht. Es war meine erste Pride-Parade, und so ganz wusste ich nicht, was mich da erwarten würde. Natürlich kannte ich die Bilder der Kölner und Berliner Christopher Street Days, aber selbst dabei zu sein, ist etwas völlig Anderes. Wir trafen uns mit einer Arbeitskollegin und deren Schwester – samt Kindern, zwei aufgeweckte Mädels, vollständig ausgestattet mir Regenbogenstrumpfhosen und Flaggen (Fahnen schwenken ist sehr üblich in Schweden, und die Kinder lieben es). Wir waren perfekt getimt, und hatten gerade gute Plätze zum Schauen gefunden, als eine Gruppe Biker mit Lederjacken und Regenbogenfahne vorbei schossen – die Parade hatte begonnen.
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Federn und Fahnen Foto: Tina |
Die Parade stand unter dem Motto „Offenheit“, und so waren alle willkommen, die sich für eine offene, tolerante Gesellschaft aussprachen. Unglaublich, wer da alles dabei war! Polizei, Doktoren, Studenten, Feuerwehr, jeder hat eine Homosexuellenvertretung und war auf der Parade mit einem eigenen Wagen vertreten. (Schweden hat neun Millionen Einwohner, und gefühlte zehn Millionen Vereine, Gewerkschaften, Vereinigungen, Interessenvertretungen.) Die Eltern homosexueller Kinder marschierten und zeigten so ihren Stolz auf und Unterstützung für Ihre Kinder. Geishas und Engel tanzten zu George Michael, Grease, oder den modernen Pendants wie Lady Gagas „Born this way“, während Batman und Robin mit Wasserpistolen Spiderman und Wonderwoman die Straße hinabjagten. Die Transvestiten auf den LKWs hatten Ihre besten Kleider aus dem Schrank gezogen, und zeigten Rüschen Federn und so gekonnte Makeup-kenntnisse, dass ich bei einigen nicht sagen konnte, ob sich darunter ein Mann oder eine Frau verbarg. Alle großen Parteien waren mit einem Schauwagen vertreten – gut alle außer den Rechten, die es ja bekanntlich nicht so mit Offenheit und Toleranz haben. Aber die vermisste sowieso keiner. Stattdessen bewunderten wir den dicken Mann mit freiem Oberkörper und Hundehalsband, der über den LKW -Rand gelehnt die Passanten anschrie. Vor allem die Kinder fanden ihn toll. Wahrscheinlich hielten sie ihn für eine Art entlaufenen Tanzbär.
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Große Wagen Foto: Tina |
Bei allem Amüsement gibt es auch ernste Momente. Die Paraden werden auch abgehalten, um sich mit denen zu solidarisieren, die nach wie vor unterdrückt werden. Zwangsehen, Ehrenmorde, die drakonischen ,Strafen, die es einigen Ländern immer noch auf Homosexualität stehen, all dies wurde thematisiert. Viele Leute trugen außerdem dieses Jahr neben der Regenbogenflagge auch die Flagge Norwegens aus der Solidarität mit dem von dem gräßlichen Amoklauf getroffenen Nachbarland. Als mächtiges Zeichen: ihr steht nicht allein da. Wir sind an eurer Seite, wir denken an euch. Und: es ist völlig egal, welche Sexualität ihr habt, wir werden euch verteidigen, eure Freiheit, eure Würde und euren Stolz!
So weit von meiner ersten Pride Parade. Wie es war? Wunderbar. An keiner Stelle fühlte ich mich als Heterosexueller Mensch unwohl oder fehl am Platz. Die Athmosphäre war fröhlich und ungezwungen, und- was mich am meisten überraschte, weniger sexuell aufgeladen als beispielsweise ein Karnevalsumzug, wo ich zu späterer Stunde mit alkoholisierter Grapscherei oder anzüglichen Anmachen rechnen muss. Das Bild was mir die Medien im Vorfeld vermittelten, war falsch und tendenziell. Orgien verkaufen sich nun mal besser als Familienfeste. Ich würde jedem empfehlen, eine Parade zu besuchen, und sich selbst ein Bild zu machen.
Nachtrag: Übrigens hatten alle Wagen des Zuges eine SMS- Nummer, mit der man den besten Wagen wählen konnte. Alle außer dem Letzten. Schade, für den hätten wir gestimmt. Das war eine Wagen der Stadtreinigung, der direkt allen Müll wieder weg sammelte. Typisch Schweden….
Vielleicht kann man der Stadtreinigung das mal als Tip geben, mit der SMS-Nummer.:)Das wär doch mal was.
Gruß Renate aus Hamburg
Hallo Renate, das wäre auf jeden Fall mal eine Idee 🙂 Am Ende gewinnen die noch. *hihi* lg Tina