Bilder, auf denen Leute nächtelang an Flughäfen und Bahnhöfen festsaßen, gingen in den letzten Tagen durch sämtliche Fernseher. Leute auf gepackten Koffern, eine Mutter mit ihrem schlafendem Kind auf einem Stuhl. Und mittendrin ich.
7:00 Der beste aller Männer beugt sich über mich und gibt mir einen Abschiedskuss. Er fliegt vom Flughafen Skavsta aus zu seinen Eltern. Mein Flugzeug nach Köln geht erst am Nachmittag. Als ich ihn im Flur rumoren höre, grunze ich noch einmal verabschiedend und schlafe weiter.
11:00 Der beste aller Männer ruft an. Seine Bahn ist nicht gefahren, er hätte fast den Transferbus verpasst. Jetzt ist er am Flughafen, sein Flug hat Verspätung. Ich steh dann mal auf. Es schneit immer noch, das Haus gegenüber ist kaum zu erkennen. Eigentlich wollte ich den Bus 12:30 nehmen. Ich beschließe, auf den Weihnachtsputz zu pfeifen, sieht eh Keiner, und zu machen, dass ich zum Flughafen komme.
11:45 Mein Zug kommt pünktlich. Ich steige ein, die Türen schließen- und öffnen. Und schließen – und öffnen. Der Schaffner kommt mit einem Besen und drischt mit dem Stiel auf den Türrahmen ein- Tür enteisen auf Schwedisch.
12:20 Am Flughafen. Ich checke die Abflugtafeln. Die Flüge haben nur etwas 10 Minuten Verspätung. Dann krieg ich sogar noch meinen Anschlusszug in Köln. Ich entspanne mich und mache es mir mit einem Buch gemütlich.
13:50 Fünfzig Prozent mit meinem Buch durch. Gebe mein Gepäck auf und gehe durch den Zoll. Mein planmäßiger Abflug: 15:55, noch zwei Stunden. Überlege, mir ein zweites Buch zu kaufen, entscheide mich dagegen.
15:30 Buch zu dreiviertel durch. begebe mich zum Gate. Das einchecken müsste gleich losgehen.
15:40 Das Einchecken sollte jetzt aber wirklich losgehen.
15:45 Warum checken die nicht ein? Ich linse aus aus dem Fenster. Irgendwas fehlt. Ich schaue genauer hin. Tankfahrzeug, Gepäckauto, Lotsen. Schließlich fällt mir auf: da steht kein Flugzeug.
15:50 Das Flugzeug kommt um die Kurve. voller Passagiere und Gepäck. Pünktlich kommen wir nicht mehr los.
16:15 Sie boarden. Als noch fünf Leute in der Schlange stehen, stehe ich gemütlich auf und schlendere zum Flugzeug. Den Luxus der Platzreservierung kann nur richtig zu würdigen wissen, wer die Sitzplatz- Schlacht von Ryanair schon mal miterlebt hat.
16:40 Schlechte Nachrichten vom Käptn: Flughafen Köln ist geschlossen wegen Schneefalls, soll aber bald wieder aufmachen. Also fliegen wir trotzdem los.
17:10 Habe mein Buch fertig gelesen.
!7:30 Köln ist immer noch zu. Wir müssen in Hannover zwischenlanden. Was dann passiert, weiß niemand.
18:10 Landung in Hannover. Die nächste schlechte Nachricht: das Gepäck darf nicht ausgeladen werden, sonst müssten sie uns komplett neu einchecken. Also bleiben wir alle sitzen.
18:30 Die Stimmung beginnt zu kippen. Die Leute sind nervös, wollen raus, wollen wissen, was passiert. Mit einer Ausnahme: in den ersten Reihen scheinen die Leute die Ruhe wegzuhaben. Auf der anderen Gangseite sitzt eine Frau mit einem vielleicht zweijährigen Kind. Wäre ich mit Kind unterwegs und wüsste nicht, wo ich die Nacht verbringe, ich würde durchdrehen! Sie nicht! Frau lacht, Kind lacht, alle entspannt. Sind die innem anderen Flugzeug? Was ist ihr Geheimnis? Die Lösung erfahre ich, als ich hinter dem Vater des Kindes in der Toilettenschlange warte.
Vater der Kindes: (zu einem in der ersten Reihe): Hej saach ma, mosstu morjen arbeide?
Dunkelhaariger: Nee, ich hab als frei.
Mann hinter mir: Das ist ja sehr schön für Sie. Aber ich muss morgen pünktlich auf der Arbeit sein!
Vater des Kindes: Nee, du musst jetz ooch nich arweiden. Des iss nämlich höhere Jewallt. Saachma, sollen wer wat singen?
Dunkelhaariger: Jute Idee.
*Beide singen:* Mir jehn zu Fuhs nach Kölle….
18:45 Die Kölner entdecken, dass es an Bord Kölsch gibt.
19:00 Es gibt eine Hymne: wir kommen alle in den Himmel!
19:15 Die Kölner überreden den Käptn, mit ihnen zusammen eine Polonaise um das Flugzeug zu machen. Der Käptn führt die Polonaise an.
19:30 Die Stewardess packt die Kölschvorräte aus dem Frachtraum aus. Dies wird mit Applaus quittiert. Der Mann hinter mir rümpft die Nase und schüttelt den Kopf ob so viel Frivolität in einer ernsten Lage. Dann schaut er mich beifallheischend an. Ich bestelle ein Kölsch, proste den Kölnern zu und schenke Miesebacke ein strahlendes Lächeln. Manchmal muss man einfach demonstrieren, wo die eigenen Sympathien liegen.
20:00 Der Flughafen Köln-Bonn ist frei, wir haben Starterlaubnis. Donnernder Applaus unterstreicht diese Nachricht. Wär aber auch nicht schlimm gewesen, wenns noch etwas länger gedauert hätte. Es herrscht Stimmung wie beim Karneval. Mit einem donnernden „wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ heben wir in Hannover ab.
21:10 Landung in Köln. Der Kapitän bedankt sich noch einmal für unsere Geduld, und für die gute Stimmung an Bord. Die Passagiere steigen aus und singen „auf Wiedersehn Herr Kapitän“. Züge sind alle ausgefallen, aber ich habe einen Cousin, der in der Nähe des Flughafens wohnt, und mich abholen kommt. Gut dass die Familie da ist. Oder wie der Kölner sagt: Süs jo ämmer no jut jejange.
P.S.: Ich schwöre: Die Geschichte ist genauso passiert. Sowas würd ich mir nicht ausdenken.