Mainhattanfiles: Hatti (1/4)

Die Stimme war unüberhörbar weiblich und füllte meine Ohren wie Honig mit Skorpionen darin. Die Frau, zu der die Stimme gehörte, saß hinter meinem Schreibtisch in meinem Stuhl, wie ich mit einem Aufflackern von Wut feststellte, die direkt von Angst abgelöst wurde.
„Sie müssen sich irren. Mein Name ist Thomas Krause“, sagte ich mit einer Ruhe, die ich nicht spürte.
Sie lachte leise und sprang auf. Sie war nicht mehr jung, aber es war mir unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Irgendwas zwischen 20 und 50? Ihre Haut war karamellbraun, wie bei den Menschen aus dem nahen Osten. Aber am auffälligsten waren ihre Augen. Im Halbdunkel schimmerten sie grün, doch als sie nun einen Schritt vortrat und durch einen Spalt in der Jalousie beleuchtet wurde, änderten die Augen ihre Farbe zu gold wie bei einer Katze. Sie kam immer näher, bis sie nur noch einen Schritt von mir entfernt war. Viel zu nah für meinen Geschmack!
„So so, Herr Thomas Krause also. Und wie ich sehe, sind Sie Detektiv.“
„Das ist richtig.“
„Haben Sie viele Klienten?“
„Ich bin zufrieden“, log ich.
„Das ist gut, sehr gut“, sagte sie, und die Ironie in ihrer Stimme verriet, dass sie mir kein Wort glaubte.
„Womit kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich geschäftsmäßig. Ich wollte ihr nicht helfen. Ich wollte nichts lieber, als dass diese schreckliche Frau wieder verschwand. Aber ich musste irgendwie wieder die Kontrolle über dieses Gespräch zurückgewinnen.
„Wir werden sehen, ob Sie mir wirklich helfen können. Ich suche jemanden.“
„Eine vermisste Person?“
„Vermissen tut den weniger jemand. Eher ist er verloren gegangen.“
„Verloren? Das hört sich ja an wie ein Hund.“
„So, in der Art. Ich möchte, dass Sie ihn für mich finden.“
„In welchem Verhältnis stehen Sie zu dem Vermissten?“
„Lassen Sie das meine Sorge sein.“
Ich zögerte und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber das geht nicht. Wenn Sie jemanden suchen, müssen sie einen triftigen Grund dafür haben.“
Sie sah mich überrascht an. „Meinen Sie das im Ernst?“
Ich nickte. Genau aus dem Grund war ich aus der Magierwelt geflüchtet. Ich hatte es satt gehabt, dass jeder nur nach Profit und eigenem Vorteil gierte.
„Vielleicht überlegen Sie es sich noch mal. Es gibt mehrere Leute, die ihn gerne finden wollen. Ich habe hier ein Foto…“ Sie kramte in ihrer Handtasche, die gut und gerne ein halbes Jahr Bafög kostete. Dann zog sie ein weißes Rechteck hervor.
„Hier bitte…“ Ich starrte in ein wohlbekanntes Gesicht. Doppelkinn, kurzes blondes Haar, Brille, der Fotograf hatte Paul wirklich gut getroffen.
„Aber wie…“ Ich unterbrach mich.
Meine Gedanken rasten. Ich musste den Auftrag annehmen, herausfinden, was die Frau wusste, wer sie war, woher sie kam und sie von der Spur ablenken. Wahrscheinlich war sie von einer der Magierfamilien beauftragt worden, aber keine wichtige, sonst hätten die keine Farbige geschickt. Magier waren so rassistisch, wie man es sich vorstellen konnte, und es gab nur wenige nichtweiße Familien, die über die niedrigsten Magierkreise herausgekommen wären.
Ich musterte das Foto ausdrücklich.
„Das Gesicht kommt mir bekannt vor“, brummte ich dann. „Wer ist er?“
„Er hört auf den Namen Paul. Spross einer sehr wichtigen und einflussreichen Familie. Er verschwand vor vier Monaten aus dem Haus seiner Eltern und ist seitdem nicht mehr gesehen worden.“
„Und seine Familie möchte ihn wiedersehen?“, fragte ich ehrlich überrascht. Das klang so gar nicht nach Vater.
„Die Familie möchte ihn vor allem bestrafen.“ Das wiederum klang total nach Vater.
„Und Sie arbeiten für die Familie?“ Unwahrscheinlich. Vater war noch rassistischer als irgendjemand anderes.
„Ich arbeite für jemanden, der sich für den Aufenthaltsort von Paul interessiert.“
„Haben Sie Grund zu der Annahme, dass  Paul sich hier in Frankfurt aufhält?“
Sie nickte und ging wieder zu meinem Schreibtisch. Ich wollte protestieren, unterließ es aber nach einem Blick auf ihr Gesicht. „Ja, das glaube ich“, sagte sie ruhig und ließ sich nieder. Sie legte ihre Füße auf meinen Schreibtisch. Das war ja wohl die Höhe!
„Warum? Ist er gesehen worden?“
„Oh, bestimmt ist er gesehen worden. Aber ich habe andere Quellen.“
„Sie geben mir sehr wenig, um damit zu arbeiten, Frau…“
„Nennen Sie mich Hattie“, sagte sie mit einem aufblitzenden Lächeln. Der Boden schien unter meinen Füßen zu verschwinden. Für einen Moment glaubte ich, ohnmächtig zu werden. Ihr schien das nicht aufzufallen.
„Ich weiß, dass er hier ist, weil er nicht gefunden werden kann. Alle Findesprüche kamen leer zurück. Die Geister ebenfalls.“
„Äh..“
„Sie sind doch auch Magier, nicht wahr?, fragte sie, ohne auf meine Überraschung einzugehen. Sie wies auf die Dekoration und die Bücher um sich.
„Ja“, gab ich zu. Hatte sie wirklich sonst nichts gemerkt? War ich so gut, dass ich sogar sie überlistet hatte? SIE?
„Dann wissen Sie, dass es in Deutschland nur eine Gegend gibt, wo jemand so vollständig verschwinden kann, und das ist Frankfurt.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich könnte mir vorstellen, dass Berlin auch in Frage kommt“, sagte ich leicht hin, ohne Hoffnung, dass sie den Köder schluckte.
„Berlin? Unsinn!“
„Aber Berlin ist auch eine große Stadt.“
„Es kommt doch nicht auf die Größe der Stadt an, sondern auf die Wege. Die Straßen, die Eisenbahn. Wege sind magisch, vor allem Kreuzungen. Früher hat man die Magier an Wegkreuzungen begraben, damit sie nicht zurückkehrten. Frankfurt ist durchzogen von Kreuzungen, und das ganze Rheinmain-Gebiet ist voller Autobahnen.“ ihre Hände bewegten sich und malten Linien in die Luft, die wohl die Autobahnen darstellen sollten. „Wissen Sie, wie viele Autos jeden Tag über das Frankfurter Kreuz fahren? Jedes verzerrt die Matrix. Deswegen ist Frankfurt so gut geeignet für die, die untertauchen möchten.“
Natürlich wusste ich das. Also nicht das mit den Wegen, aber dass Frankfurt der sichere Hafen für alle magischen Kriminellen war. Und andere, die es sich mit den Machthabern verscherzt hatten.
„Und deswegen denken Sie, Paul wäre hier?“, fragte ich. Nur gut, dass sie nicht wusste, dass man Findesprüche im Inneren von Frankfurt sehr wohl wirken konnte. Wenn man wusste, worauf man zu achten hatte. Und ein funktionierendes Handynetz hatte.
„Ich weiß tatsächlich, dass er hier ist. Vorgestern wurde das Schiersteiner Kreuz wegen Bauarbeiten gesperrt. Eine kurze Unterbrechung im Muster, aber Paul hat einen der verbotenen Sprüche gewirkt. Paul ist hier in Frankfurt. Ich will ihn finden.“ Ein verbotener Spruch! Die Gehirnwäsche der Professorin. Ich wusste, dass das eine dämliche Idee gewesen war.
„Was wollen Sie von Paul?“, fragte ich.
„Ich? Zunächst einmal will ich mit ihm reden. Also, Herr Crowley, werden Sie mir helfen?“
Ich überlegte nur scheinbar. Wenn ich den Auftrag übernahem, konnte ich sie auf eine falsche Spur bringen.
„Nun gut. Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Wo kann ich Sie erreichen?“
„Ich residiere im Hotel Villa Rothschild in Königstein.“
Ich pfiff leise durch die Zähne. Das Rothschild war das teuerste Hotel Frankfurts und jemand wie ich kam da nicht mal in die Eingangshalle. Aber natürlich käme für sie nur das beste in Frage, alles andere würde sie als unter ihrer Würde empfinden. Sie nahm ihre Beine von meinem Tisch und stand langsam auf.
„Gut, dann sind wir uns einig.“ Ich runzelte die Stirn. Irgendwas hatte ich übersehen. Irgendwas an dem Gespräch passte nicht, und…
„Warum nennen Sie mich Crowley?“, fragte ich plötzlich. Ihre Augen blitzten auf, und sie erinnerte mich an eine Katze, kurz bevor die eine Maus fing.
„Weil das doch ihr Name ist, nicht wahr?“ sagte sie gleichmütig und blickte mich von oben bis unten an.
„Ich…“ stotterte ich.
„Paulus Thomas Crowley. Und ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin?“, unterbrach sie mich. Ich brach unter ihrem Blick zusammen wie ein Streichholzturm.
„Hapsetut, vom allsehenden Auge.“

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