David Garrett in Stockholm

Ich bin immer noch krank. Deswegen diese Woche ein älterer Text vom David Garrett -konzert, den ich bisher noch nicht untergebracht gekriegt hab. Viel Spaß!
Im Foyer Foto: Tina
Am 22. November spielte David Garrett in Stockholm, und wir waren dabei.
David Garrett ist ein deutsch-amerikanischer Geiger, der in Crossover-Tradition klassische und moderne Musik vermischt. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon. Es gab wohl in den letzten Monaten keinen Musikantenstadel, kein Frühstücksfernsehen, wo der Guteste nicht gefiedelt hätte, und spätestens seit er die Nationalhymne für das Deutschland -Holland- Spiel spielen durfte, kennt ihn der letzte Hintertupfinger. Manche bewundern sein musikalisches Talent, schon im Alter von fünf Jahren gab er Konzerte. Manche erzählen von seinem Mut- während seines Studiums musste er sich ohne die Hilfe seiner Eltern durchschlagen, weil die ihm nach seiner Rebellion die Unterstützung entzogen (auf die Universität gehen, das undankbare Balg. Abgeschlossene Berufsausbildung- an was die Jugend von heute nicht alles denkt). Mich persönlich beeindruckt  dies am meisten: ich, meine Mutter und meine Tante mögen seine Musik. Daß wir drei uns in Bezug auf Musik einig sind, kommt etwa so häufig vor wie eine Sonnenfinsternis in der Wüste.
I´m an alien in Stockholm 
Ich liebe David Garrett! Ich finde die Idee des Crossover wunderbar, den Typen attraktiv, und seine Musik ist der beste Hintergrund zu stundenlangen Schreibsessions. Und als ich hörte, dass David ein Konzert in Stockholm gibt, war ich sofort Feuer und Flamme. Auf der Arbeit erzählte ich aufgeregt: „Wisst ihr wer nach Stockholm kommt? David Garrett!“ – und erntete höflich fragende Gesichter: wer soll das sein? Kennen wir nicht“.
Da war es wieder, das Gefühl ein Auswanderer zu sein, in zwei Welten zu leben. Deutsche schwärmen von Rosenstolz und den Ärzten, Schweden lieben Ebba Grön und Eric Saade, und beide können sich nicht vorstellen, dass diese woanders unbekannt sind.
Wel hiel sitzt ist doof
Das Konzert findet im Chinatheater statt, ein im chinesischem Stil gehaltenen Privattheater mit bärtigen Drachen, Pagoden und asiatischen Schriftzeichen (wahrscheinlich chinesisch, ich kann chinesisch nicht von japanisch oder koreanisch unterscheiden und vermute immer, die Zeichen bedeuten so was wie „wer hier sitzt ist doof“). Das Chinatheater, mit seinen 1200 Sitzen das größte Privattheater in Stockholm, ist für Garrett-konzert-verhältnisse winzig.
Im Foyer tummeln sich Menschen aller Altersgruppen, von Fünfjährigen, die zwischen meinen Beinen rumwuseln, während ich die Getränke für die Pause vorbestelle (und in der Pause als ich sie abhole, was „Weinholen“ zu einer olympischen Disziplin werden lässt), bis zu gestandenen Theatergängern in den siebzigern. Zu meinem Erstaunen höre ich die Leute überwiegend Schwedisch reden. Nach der Erfahrung mit meinen Kollegen habe ich damit gerechnet, vor allem Exildeutsche wie uns zu treffen.
Wir suchen unsere Plätzen auf, letzte Reihe, trotzdem super Ausblick. Ich kann von meinem Platz aus die einzelnen schwarzen Tasten auf dem Keyboard erkennen (nachdem ich meine Eitelkeit überwunden und meine Brille aufgezogen hab. Ohne bin ich blind wie ein Maulwurf). Da gehen auch schon die Lichter aus. 
Let there be ROCK!
Der erste Song, Kashmir, setzt den Ton für das Konzert. Rockig, kraftvoll! Das Konzert gehört zur Rock Symphonies Tour, er hat seine Band dabei, keine weiteren klassischen Instrumente. Als der letzte Ton verklingt springen einige Leute auf und klatschen, darunter mein Freund. Seltsam, ich dachte, er wäre in erster Linie meinetwegen mitgekommen.
Die Lichtshow ist der Hammer. Riesige Scheinwerfer wie in den Filmen mit Greta Garbo werfen einen kreisrunden Lichtkegel an die Wand, in der Mitte der übergroße Schattenriss eines Geigers, tuend, wofür er geboren wurde, und was er am liebsten macht, ein Bild so nah an der Perfektion, wie wir in dieser Welt kommen können. Im nächsten Moment explodieren Lichter. Pirates of the Carabean, diesmal reißt es auch mich vom Stuhl, begeistert klatsche ich den Takt mit.
Langweile bei der Aufzugmucke Foto: sauschlecht
Dann folgt eines der langsamen Lieder. Ich nutze die Zeit, die Leute um mich herum zu beobachten. Zwei Jugendlichen schräg links von mir knutschen- manches ändert sich wohl nie. Jemand filmt mit seinem Handy, nicht nur einer, ich zähle sieben unauffällig erhobene Handys nur in meiner Ecke. Draußen standen überall riesige Schilder, das das nicht erlaubt wär. Wahrscheinlich wegen Copyrights. Es stört auch. Einige schreiben sogar Facebook.
Leider ist das übernächste Lied auch langsam- oder besser gesagt laaaangweilig. Nicht mal die Liveathmosphäre kann das wettmachen. Angeblich eine Eigenkreation Davids, die er nachts im Hotelzimmer geschrieben hat. „wohl eher im Aufzug“ brummt es neben mir. Ich liebe diesen Mann unter anderem,weil er manchmal den Nagel boshaft genau auf den Kopf trifft.
Umbaupause
Wein-zapfhähne Foto: Tina
Dann ist Halbzeitpause, und wir gehen an die Bar unseren Wein holen. Da sind wir nicht die einzigen, fast jeder trinkt Wein. Die Bedienung zapft den Wein wie Bier aus Zapfhähnen, einen für weißen, einen für roten Wein. Über kleine Kinder springend finden wir ein ruhiges Eckchen.
„Sag mal“, frag ich meinen Freund „Dir scheints je extrem gut zu gefallen.“ Bei jedem Stück ist er aufgesprungen und hat geklatscht. Nicht mal ich war so euphorisch. „Ich bin froh, wenn ich stehen kann“, antwortete er mit mit zerknirschtem Gesicht. „Die Reihen sind so eng, dass ich nicht dahinter passe.“ Natürlich! Selbst ich mit meinen abgebrochenen einssechzig finde die Sitze eng. Für meine riesige bessere Hälfte muss das eine Qual sein. Er muss sich auf die Sitze regelrecht falten, und sitzt wie im Schneidersitz da.
David das Schokomonster
Ich im Foyer Foto: bester aller Männer
Aber wer will schon sitzen? Es geht weiter mit dem Beatles-klassiker „Live and let die“. Bei der Geschwindigkeit, den schweren E-gitarren und den roten und blauen Lichtern die über die Bühne zucken, erinnert es mich eher an das Cover von Guns N Roses, ebenfalls mittlerweile ein Klassiker. Mann bin ich alt!
Unterbrochen werden die Lieder von lustigen Ansagen. Lustig, teils mehr, teils weniger. Die Geschichte von David als Schokomonster, der ohne Selbstbeherrschung die Schokoriegel aus der Hotelbar plündert, ist witzig (und ich kann das soooo gut verstehen), der Gruß an die schönen Frauen animiert mich eher zum Augenverdrehen- zu gestellt, zu darauf ausgelegt, allen zu gefallen. Vielleicht ist es auch einfach nur, dass es aufhört perfekt zu sein. Die beste Ansage ist die letzte „wir haben da ein paar Noten hinter der Bühne gefunden, die wollen wir dann jetzt spielen“. Kurz ist ungläubige Stille, dann bricht der ganze Saal in Gelächter aus. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob das ernst gemeint sein sollte, ob wirklich jemand glauben sollte, dass die Noten von „Hej Jude“ zufällig hinter der Bühne lagen (das Stück ist auf der Livecd drauf). Aber egal. Diesmal stehen wir alle, heben alle unsere Handys in die Höhe (früher hatten wir Feuerzeuge) und singen mit. Ein wunderbarer Abschluss, ein wunderschöner Abend. „Weißt du eigentlich, dass ich genauso alt bin wie der David?“ fragt mich der beste Mann der Welt auf dem Nachhauseweg. „und du hast auch lange Haare“ antworte ich. „aber ich kann nicht Geigen“ sagt er nachdenklich. Dann grinst er „aber ich hab Schokoriegel daheim“ Manche Männer wissen eben genau, was Frauen wollen 🙂
P.S. Dooferweise hab ich mir das Programm nicht notiert, übernehme deswegen keine Haftung für die Reihenfolge der Lieder.
PS 2: Warum hab ich nicht den Fotoapparat mitgenommen? Die Handykamera ist soooo schlecht! *schnüff*

2 Gedanken zu „David Garrett in Stockholm

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